Finsteres Gold
sagt: »Ich dachte, sie wäre Pazifistin?«
»Nicht, wenn es um ihre Freunde geht. Bist du jetzt in diese Cassidy verliebt oder nicht?«, fragt Nick. Mehr höre ich nicht, denn ich bin zu beschäftigt damit, durch die Cafeteriatür hinauszustürmen.
Ich finde Issie in der Mädchen-Toilette. Lautes Schniefen dringt aus der Kabine, auf deren Tür die Worte 2KOOL4S-KOOL eingeritzt und dann – wohl mit einem schwarzen Marker- nachgezeichnet sind. Das ist ja wohl das lächerlichste Graffiti, das ich je gesehen habe.
Ich hole tief Luft und klopfe an die Kabinentür.
»Is?«
Sie schnieft.
»Issie?«
Einen Augenblick später ertönt ein kleinlautes, müdes »Ich bin nicht da«.
»Oh.« Ich trete einen Schritt zurück, damit ich unter der Tür hindurchschauen kann. Keine Füße. »Dann muss ich mir wohl Sorgen machen, weil die Toilette mit mir spricht, oder was? Hat Zara heute vielleicht ein paar Schmerzpillen zu viel eingeworfen?«
»Nein …« Ihre Stimme quetscht sich schmollend durch die Risse zwischen der Tür und dem Metallrahmen. Dann hüpft sie zu Boden.
»Hast du auf der Toilette gestanden?«, frage ich.
Sie öffnet langsam die Tür, und zum Vorschein kommt ein sehr trauriges, sehr fleckiges Issie-hat-geweint-Gesicht.
Ich ziehe sie in meine Umarmung. »Ach, Süße.«
»Er wollte mich nicht küssen«, schluchzt sie.
»Issie!« Ich lasse meine Hand auf ihrer Schulter liegen, trete aber einen Schritt von ihr weg, damit ich in ihr tränennasses Gesicht schauen kann. »Möchtest du deinen ersten Kuss mitten in einer Highschool-Cafeteria vor hundert geilen, geifernden Mitschülern bekommen, die dir johlend zuschauen?«
»Geifernd?«
»Das heißt sabbernd.«
Sie reibt sich mit dem Handrücken die Nase. »Ich möchte einfach … ich möchte einfach endlich überhaupt einen ersten Kuss bekommen, verstehst du?«
Ich nicke heftig, denn ich erinnere mich gut an die Zeit vor meinem ersten Kuss. Dabei war Nick nicht einmal mein erster Kuss. Arme Is. »Ich versteh dich gut.«
»Ich glaube, mir ist es völlig egal, ob es ein Publikum gibt, denn es würde bedeuten, dass er mich mag und dass ich eines Kusses würdig bin.« Sie schaut zu mir auf. Ihre Nase läuft, und ihre Augen sind rot. »Bin ich nicht küssenswert? Ich bin es nicht, oder? Ist Cassidy küssenswerter als ich?«
»Issie, du bist total küssenswert. Wenn ich ein Junge wäre oder lesbisch oder bi oder so, würde ich dich auf jeden Fall küssen wollen.«
Sie schnieft. »Wirklich?«
»Ehrenwort.« Ich nehme ein braunes Papierhandtuch und falte es ein paarmal. Dann halte ich es unter das kalte Wasser und tupfe Issies fleckiges Gesicht damit ab.
Einen Augenblick lang ist sie ruhig, dann fährt sie fort: »Warum mag er mich dann nicht?«
»Issie!« Ich unterdrücke den Impuls, sie zu schütteln. »Das weißt du doch gar nicht.«
»Er mag mich nicht.« Sie stolpert zum Spiegel. »Oh Mann … schau mich an. Katastrophe. Schau dir meine Lippen an!« Sie drückt mit dem Finger auf ihre Lippen. »Sie sind zu schmal. Sie zählen gar nicht als richtige Lippen. Cassidy hat viel bessere Lippen, und er mag mich nicht, Zara. Erinnerst du dich, wie du mich direkt vor dem Unfall angerufen hast?«
Ich erinnere mich. Sie hatte geklungen, als würde sie weinen. Ich habe sie nie gefragt. Mensch, was ist los mit mir? Wie kann ich nur eine so schreckliche Freundin sein?
»Ich habe geweint«, fährt sie schniefend fort, »weil ich Devyn gerade gesagt hatte, dass ich ihn mag. Und weißt du, was er darauf geantwortet hat?« Sie gibt mir keine Chance, etwas zu sagen. »Er hat gesagt, dass er ›derzeit nicht weiß, was er mit dieser Information anfangen soll‹. Ich habe ihm endlich gesagt, dass ich ihn mag, und er hat mich einfach abblitzen lassen wie ein Nichts.«
Ich versuche das zu verarbeiten. Aber ich verstehe es nicht. »Hat er dir gesagt, warum?«
»Nein. Weil du angerufen hast und ich … ich … wir haben einfach nicht mehr darüber gesprochen.«
»Das ergibt keinen Sinn. Entweder spielt er den Macho, oder er ist größenwahnsinnig oder ein Ober-Nerd oder sonst was.« Ich schnappe mir noch ein Papierhandtuch und versuche die Tränen von ihren Wangen zu wischen. »Er hat dich Liebes genannt, Issie. Kein Typ sagt Liebes zu einem Mädchen, das er nicht mag.«
Mit großer Überredungskunst gelingt es mir schließlich, Is zurück an den Tisch zu lotsen. Den ganzen Weg durch die Cafeteria hält sie den Kopf gesenkt und huscht geradezu auf ihren
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