Finsteres Gold
all diese großen moralischen Zwickmühlen. Es geht mir also total gut damit. Voilà!«
Sie hält ein Päckchen mit einem Wal-Mart-Aufkleber hoch.
»Buntstifte?«, frage ich.
»Nein, Dummy. Viel zu dick für Buntstifte. Das ist Gesichtsfarbe.« Sie wartet ab. Ich schaue nur.
»Nix kapieren?« Sie wedelt mir mit dem Päckchen vor der Nase herum und zeigt auf ihre Backen. »Wir tun so, als wäre es Absicht. Ich male mein Gesicht an, und dann malen wir auch die Gesichter der anderen an. Das gehört dann zum Motto des Abends. Ich hab das schon im Voraus geplant, falls es wieder passiert!«
Ich hopse herum und umarme sie. Sie fühlt sich so winzig an, wenn man sie umarmt. Überhaupt nicht wie Nick. Oder wie Astley.
»Du kreischst«, sagt sie, als ich sie loslasse. »Ich verstehe das so, dass dir die Idee gefällt?«
»Sie ist brillant!«
Ihr Lächeln wird noch breiter, und sie reißt das Päckchen auf. »Siehst du? Von wegen Sidekick? Brillant.« Sie mustert die Farben. »Ich glaube, ich wäre gern grün.«
Ich schnappe mir die grüne Farbe. »Abgemacht.«
Elfen-Tipp
Elfen sind manchmal schrecklich geheimnisvoll. Sprich nicht mit ihnen. Sie verwirren dich, und dann lachen sie dich aus wie Bösewichte im Film oder Physiklehrer.
Nach dem Kegeln sprechen wir vier (plus Grandma Betty) eine verdammte Ewigkeit lang darüber, ob Astley uns mit seiner Warnung einfach nur ganz gewaltig hinters Licht führen will. Betty, Dev und Nick meinen, ja. Is und ich sind unentschlossen. Devyn recherchiert im Internet, was es mit Walküren wie dieser Thruth auf sich hat, während er gleichzeitig mit Cassidy simst. Issie verbringt viel Zeit damit, so zu tun, als würde es ihr total gut gehen. Dann gehen sie nach Hause, und schließlich erlaubt Betty, dass Nick übernachtet, weil es schon drei Uhr ist.
»Deine Großmutter«, murmelt er in meine Haare hinein, als wir uns auf dem Sofa umarmen, »ist einfach große Klasse.«
Wir schlafen aneinandergekuschelt dort ein, komplett angezogen, denn wir haben noch nicht miteinander geschlafen, und außerdem ist meine Großmutter im Haus. Bevor wir uns am Morgen rühren oder gähnen oder strecken, ist sie schon weg, entweder zum Frühstück bei Sylvia’s, ihrem Lieblingsimbiss, oder in der Rettungszentrale.
Meine Schulter weckt mich auf. Ich habe irgendwie blöd gelegen, und jetzt fühlen sich meine ganze rechte Hand und alle Finger ganz taub an. Die Schulter ist steif und lässt sich kaum bewegen. Ich stöhne und rücke weg von Nick und seinem warmen, Werwesen-warmen Körper, und strecke die Arme nach oben.
Er wacht sofort auf. Sein Arm greift um mich herum und zieht mich näher zu ihm. »Kann nicht sein, dass wir schon aufstehen müssen.«
»Mm-hm«, sage ich und ziehe die Knie an die Brust.
Er streckt die Hand aus, und seine Finger zeichnen die Linie nach, in der das Fußkettchen um meinen Knöchel fällt. Ich kuschle mich in sein graues T-Shirt und reibe meine Wangen an seiner Brust. Einen Augenblick lang fühle ich mich sicher, so absolut sicher wie damals, als ich ein kleines Mädchen war und mein Stiefvater die Bettdecke um mich herum feststopfte. Er baute einen Wall aus Kissen um mich herum auf, weil ich Angst hatte, dass nachts Monster kommen. Dieses Gefühl habe ich auch bei Nick. Auch wenn es eigentlich ein falsches Gefühl von Sicherheit ist. Denn letztlich kann nur jeder selbst für seine Sicherheit sorgen. Und Nicks Versuche, mich zu beschützen, machen ihn nur noch verletzlicher. Leben ist ganz und gar keine Jungfrau-in-Not-Geschichte. Mein Leben ist vielmehr ein Jeder-ist-in-Gefahr-Horrorfilm.
»Amnesty, was denkst du gerade?«, murmelt er leise in meine Haare hinein. Seine Finger schnippen den Delfin an meinem Knöchel vor und zurück.
»Nichts.«
»Lügnerin –«
»Ich hab gedacht, dass du morgens total süß und total verwuschelt aussiehst.«
»Sogar mit meinem Hundeatem?« Er lächelt.
»Wuff.«
Er hält die Hand vor den Mund und setzt sich auf. »Worüber hast du wirklich nachgedacht?«
»Ich habe daran gedacht, wie mein Vater …?«
»Welcher?«
»Mein Elfenvater. Wie er hier eingebrochen ist. Weißt du noch? Wie er vor Wut das Sofa umgeworfen hat, weil ich ihn nicht in mein Zimmer gelassen habe.« Ich schaudere. »Das war schrecklich.«
»Ja, das war richtig übel«, sagt er und streckt sich. »Aber du hast immer noch ein schlechtes Gewissen, weil du ihn und die anderen Irren in das Haus gesperrt hast, stimmt’s?«
Ich antworte nicht.
»Wir
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