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Finsteres Gold

Finsteres Gold

Titel: Finsteres Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Jones
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Leben, aufs Atmen, einfach aufs Sein. Und genau so fühle ich mich jetzt. Ein Teil von mir möchte den Atem anhalten und nicht zulassen, dass dieses Elfen-Ich wirklich wird. Dieser Teil weigert sich, weil ich an meiner menschlichen Identität hänge. Der andere Teil atmet in tiefen Zügen ein, füllt meine neuen Lungen mit Luft und fühlt sich bereit, Nick zu retten und es mit allem und jedem aufzunehmen.
    Ich blinzle ein paarmal heftig, versuche meine Gedanken zu sortieren und frage: »Tut es weh?«
    »Nein. Der schmerzhafte Teil ist vorbei. Ehrenwort. Aber das hier ist wichtig.« Er nimmt ein langes dunkles Haar von seinem T-Shirt-Ärmel und lässt es zu Boden fallen. »Ich bin mir nicht ganz sicher, wie man nach Walhalla kommt, aber ich bin überzeugt, dass du dorthinmusst, und ich bin überzeugt, dass ich einen Weg finde, dich dorthinzubringen, also hilf mir, Zara. Ich werde dich nicht im Stich lassen.«
    Ich glaube ihm. Ich glaube, es liegt daran, wie seine Augen sich in meinen Blick hineinbohren, oder daran, wie seine Lippen sich so vertrauensvoll bewegen, als er diese Worte spricht. Aber ich glaube ihm. Hundert Prozent vertraue ich ihm nicht. So vertraue ich nur Nick und Issie und Devyn und Betty, aber ich glaube ihm, dass er mir helfen möchte.
    »Okay.« Ich umfasse den Ast so fest, dass er knackt. Bevor er etwas sagen kann, windet sich mein Körper vor Schmerzen. »Ich dachte, der schmerzhafte Teil wäre vorbei?«, keuche ich.
    »Ist er auch!« Vorsichtig löst er meine Finger von dem schlanken Ast. »Aber dieser Ast ist jetzt du. Du musst auf ihn aufpassen. Wenn er brennt, brennst du. Wenn er bricht, dann brichst auch du.«
    Auf einmal erscheint mir der Ast sehr zerbrechlich und sehr wertvoll. Ich kann kaum glauben, dass er es ernst meint.
    »Haben wir alle einen solchen Ast? Alle Elfen?« Ich spucke das Wort geradezu aus. Als er nickt, setze ich meinen Gedanken fort: »Wenn ich also diesen König töten wollte, der Nick verletzt hat, müsste ich nur …«
    »… seinen Ast finden und ihn zerstören«, beendet er für mich. »Aber das ist nicht so leicht. Die meisten von uns haben ziemlich komplizierte Sicherheitsvorkehrungen.«
    Mein Kopf fährt herum, und unsere Blicke treffen sich: »Ich nicht.«
    »Ich weiß. Traditionell bewahren König und Königin ihre Äste gemeinsam auf.« Er wendet den Blick nicht ab.
    »Du bittest mich, dir mein Leben anzuvertrauen.« Ich schlucke. Knackend versuchen die Wirbel in meinem Hals sich an die Bewegung zu gewöhnen.
    Er deutet mit der offenen Hand auf mich. »Das hast du doch schon, Zara.«
    »Stimmt.«
    Ich lasse mich zurück aufs Bett fallen und schließe die Augen. Die Welt dreht sich. Die Gerüche im Zimmer sind viel intensiver als zuvor. Der künstliche Zitronenduft der Daunendecke, der Geruch von Putzmittel und Toilette, alter Zigarettenrauch, Astleys Mischung aus Pilzen und Wind. Es sollte einen Aus-Knopf für die Nase geben. Das ist zu viel. Meine Hände berühren das Holz. Ich muss entscheiden, was ich mit meinem Ast mache. Vielleicht Astley noch einmal mein Leben anvertrauen? Es kommt mir vor, als würde mich jede Entscheidung weiter von Nick entfernen. Ich stöhne.
    »Hast du Schmerzen?« Astleys Stimme sagt mir, dass er sich direkt über mich beugt. Sein Duft ist so intensiv.
    Ich darf nicht auseinanderbrechen. Ich darf nicht in Mythos und Märchen zerbrechen, sondern ich muss Zara bleiben. Ich muss Zara bleiben. Sonst werden meine neuen Zähne die Welt zerreißen. Sonst wird diese blaue Haut vor Begierde und Bosheit glühen. »Haben Elfen eine Seele?«, flüstere ich, und ich schwöre, ich kann riechen, wie meine Worte hinaus in die Welt schweben. Sie riechen nach Schmerz, der über eine einsame Straße torkelt.
    Das Bett knarrt, als Astley sich neben mich setzt. »Ich glaube, dass wir eine Seele haben.«
    »Also muss ich nicht böse sein.«
    Sein Lachen klingt angestrengt und gezwungen. »Niemand muss böse sein. Weder Elf noch Werwesen.«
    »Alle Werwesen sind freundlich«, protestiere ich. Und diese Worte? Sie riechen vergilbt nach altem Schmerz.
    »Nicht alle. So wie auch nicht alle Menschen gut sind. Das weißt du genau, Zara.«
    Ich denke an all die Amnesty-Briefe, die ich immer schreibe, um Menschen zu retten, um politische Führer und Diktatoren dazu zu bringen, das Richtige zu tun. Dann denke ich daran, dass ich getötet habe. Ich habe mindestens drei Elfen getötet. Ich morde und rette gleichzeitig.
    »Was bedeutet gut sein?«, frage

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