Finsterherz
Gelächter ertönten. In der Mitte der Straße brannte Feuer in großen Schalen und Männer verkauften heiße Maronen, Gebäck und Wein. Sie konnte sich gar nicht sattsehen. Es war wie ein Traum. Und einen Augenblick lang glaubte sie wirklich zu träumen.
Am Straßenrand standen Kinder, mit dem Rücken an die Hauswände gelehnt, und schauten dem Treiben zu. Als Katta zu den Fenstern hinaufblickte, sah sie, dass auch dort Kinder herausschauten. Sie ging weiter und bestaunte die Kostüme und die Menschen, die auf beiden Seiten an ihr vorbeischlenderten.
Als sie zu einer Gruppe Kinder kam, die in einem Türeingang stand, blieb sie stehen.
»Was ist das hier?«, fragte sie.
Die Kinder sahen sie an, als gingen sie davon aus, dass alle Welt Bescheid wissen müsste.
»Morgen ist das Fest des Engels«, sagte ein Junge.
Katta drehte sich um und blickte die Straße hinunter. »Gibt es so etwas jedes Jahr?«
Der Junge lachte sie aus. »Bist du blöd oder was?«
»Ich bin nicht von hier«, erklärte sie.
»Ja, das Fest gibt es jedes Jahr«, sagte er. »Morgen ist das Kirchenfest. Dann hast du es also noch nie mitgemacht?«
»Nein«, antwortete sie.
Sie betrachtete die Feuerschalen und die Laternen. »Es ist wunderschön.«
Der Junge nickte seinen Freunden wissend zu. »Du solltest ans andere Ende der Straße gehen«, sagte er. »Da ist es noch besser. Dort siehst du sie alle aus der Oper kommen.« Er deutete mit dem Finger. »Es ist gleich da unten. Da solltest du hingehen.«
Eine Frau in einem eleganten Mantel schwebte vorbei und Katta begriff, warum die Kinder hier warteten und so erpicht darauf waren, dass sie weiterging.
»Süßes, Süßes!«, riefen sie alle gleichzeitig und streckten der Frau die Hände entgegen.
Sie hob die kleine Maske, die sie bei sich trug, vors Gesicht, fuhr mit der anderen Hand in die Falten ihres Umhangs und streute ihnen etwas vor die Füße. Sofort hatten die Kinder Katta vergessen und balgten sich auf dem eisigen Boden um die Süßigkeiten. Aus den offenen Fenstern oben kam ein ganzer Chor von Stimmen: »Süßes, Süßes!« Doch die Dame war schon weitergegangen. Katta versuchte nicht, eines der Bonbons aufzuheben; sie wusste, dann würde es Streit geben. Deshalb wandte sie den Kindern den Rücken zu. Sie fand, es wäre noch genügend Zeit. Sie musste sich noch nicht auf den Rückweg machen. Je später sie zurückkam, desto besser standen die Chancen, dass König bereits da war und sein Zorn auf Stefan noch größer als zuvor, weil er Katta einfach hatte sitzen lassen. Bei diesem Gedanken musste sie lächeln. Ja, sie hatte Zeit.
Langsam ging sie die breite Straße entlang in die Richtung, in welche der Junge gezeigt hatte. Sie wollte die reichen Leute sehen, die aus der Oper kamen. Unterwegs beobachtete sie die feinen Damen, sah, wie sie einander zunickten, und die Männer, die elegante Verbeugungen machten. Da versuchte Katta sich größer zu machen und zu gehen wie die Damen. Auf dem Boden lag eine leuchtend grün-goldene Feder, die aus einer Maske gefallen war. Katta hob sie auf, strich sich damit über die Wange und ging weiter, dabei stellte sie sich vor, sie wäre eine Dame der Gesellschaft und die Feder ihre Maske.
Stände mit wertlosem Schmuck und Buden säumten die Straße. Es wurden Pfeifen und Bänder, Broschen und Anstecknadeln feilgeboten. Eine kleine Gruppe Schaulustiger hatte sich vor einem bemalten Wagen versammelt, und Katta drängelte sich nach vorn, weil sie wissen wollte, was die Neugier der Leute anzog.
Eine Wand des Wagens war aufgeklappt und bildete eine kleine Bühne. Davor brannten Fackeln. Ein dicker, schnauzbärtiger Mann im Frack eines Zirkusdirektors schlug eine große Trommel, während eine schlanke Frau in einem eng anliegenden Seidenkostüm ihren Körper zusammenfaltete und wand, um sich dann wie eine Natter durch winzige Reifen zu schlängeln. Die Leute warfen Münzen, die im Fackelschein glitzerten. Doch Katta hatte nichts zum Werfen. Sie schaute noch eine Weile zu, dann ging sie weiter.
Vor dem großen weißen Gebäude am Ende der Straße hatte sich eine sehr viel größere Menschenmenge versammelt. Wieder drängelte und schlängelte sich Katta nach vorn. Eine ausladende Steintreppe führte hinauf zu einer prunkvollen Eingangstür. Neben den offenen Türflügeln standen Lakaien, die gepuderte Perücken und Mäntel aus Samt trugen. Opernbesucher in Karnevalskostümen kamen allein oder zu zweit die Treppe herunter und gingen zu den wartenden
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