Finsternis über Gan (German Edition)
sehen, seine Liebe nie wieder spüren? Es war unbeschreiblich, wie Äbrah alle Traurigkeit und Verzweiflung in sich aufnahm. Kein schwerer oder böser Gedanke konnte in seiner Nähe bestehen.
Finn legte das Buch zur Seite. Keine einzige Zeile leuchtete ihm entgegen. Kein einziger Satz machte für ihre Fragen Sinn. »Dieses Buch hilft uns nicht weiter«, meinte er.
»Kommt, suchen wir weiter«, forderte Chika, die von dem Reiz, der von alten Büchern ausging, nun auch gefangen genommen war, die Gefährten auf. Sie nahm sich fünf Wälzer aus dem Regal, die ihr halbwegs interessant schienen, und trug sie zu einem Lesetisch, der von einer altertümlichen Öllampe beleuchtet wurde. Die anderen taten es ihr gleich und begannen, in aller Stille zu lesen. Manche Bücher brachten sie nach wenigen Blicken wieder ins Regal zurück und holten andere zu ihrem Leseplatz.
Nach einer Stunde schweigendem Arbeiten sagte Pendo leise vor sich hin: »Das ist ja interessant!«
»Was liest du gerade?«, fragte Finn neugierig.
»Es ist ein Buch über verschiedene Gefahren, denen Gan in seiner Geschichte ausgesetzt war. Ich dachte bisher immer, Gan wäre ein ganz friedliches Land gewesen. Okay, es gab mal Einzelne, die aus dem Land vertrieben werden mussten, weil sie etwas Schlimmes getan hatten. So wie Harah, ihr wisst ja. Aber ganz so einfach ist es wohl doch nicht.«
»Erzähl!«, drängelte Joe und schaute neugierig zu ihr hinüber.
Pendo schlug eine Seite in dem Buch auf und las noch einmal nach: »Also, wenn ich es richtig verstehe, gab es immer wieder Menschen, die Gan ganz zufällig auf ihren Schiffsreisen entdeckten. Oftmals waren das einfache Kaufleute, die hier ein gutes Geschäft gemacht haben und dann nie wieder aufgetaucht sind. Der besondere Schutz, der das Land umgibt, hatte sie mit Blindheit geschlagen, die ihnen die Rückkehr nach Gan unmöglich machte. Sie haben das Land nie mehr gefunden.«
»Das ist doch nichts Neues. Selbst mein Großvater hatte mir das schon erzählt«, winkte Finn ab.
»Damit hört es aber nicht auf«, entgegnete Pendo. »Einige waren von dem Reichtum, den sie hier zu Gesicht bekommen hatten, so fasziniert, dass sie all ihre Kraft und ihr Geld dafür einsetzten,es wieder zu finden. Sie heuerten Piraten an, die sich auf die Suche machten, und bezahlten sogar Zauberer, um das sagenumwobene goldene Land wiederzufinden. Und mit deren Hilfe haben es einige geschafft.«
»Dann konnten sie tatsächlich hier in das Land eindringen, um es auszurauben? Ich dachte immer, Gan wäre ein sicherer Ort.« Chika wirkte beunruhigt.
»Jedes Mal, wenn die Menschen es geschafft hatten, das sagenumwobene Land zu finden, gab es erbitterte Kämpfe. Deshalb gibt es hier auch diese trutzigen Burgen und Schlösser, die die Grenzen des Landes bewachen.«
»Dieses Buch müsste mal König Farlon lesen. Dann würde ihm vielleicht klar werden, wie gefährlich seine Pläne sind. Durch sein neues Gesetz kämen viel mehr Menschen hierher. Sie würden das Land gnadenlos ausbeuten«, meinte Finn.
»Mich erinnert das an die Geschichte meines eigenen Landes«, sagte Joe ernst. »Meine Vorfahren lebten in Frieden, bis die Europäer kamen und alles kaputt machten. Unsere Lebensweise, unsere Kultur – alles wurde zerstört.«
»Davon können wir in Afrika auch ein Lied singen«, meinte Pendo. »Wir leiden noch heute unter den Folgen, die die Eroberung durch die Europäer mit sich gebracht hat. Noch immer sind die Weißen viel reicher als die Schwarzen.«
»Ja, das ist bei uns auch so!« Joe atmete tief durch. »Das zeigt uns umso deutlicher, wie wichtig unser Auftrag ist.«
»Stimmt«, sagte Finn eilig, der als Europäer froh war, dass das Gespräch wieder eine andere Wendung nahm.
»Ich habe übrigens auch ein spannendes Buch gefunden. Das würde ich sogar freiwillig lesen«, meinte Joe grinsend und hielt ein Buch hoch, auf dessen Umschlag die vier Amulette, die sie trugen, abgebildet waren. »Es handelt von den Trägern der Amulette, also von unseren Vorgängern. Interessant, oder?«
»Und wie! Erzähl, was steht drin?«, forderte ihn Finn auf.
»Uns wurde ja immer erzählt, dass alle Träger der Amulettehierhergerufen wurden, um aus den Lebensströmen zu trinken, um dadurch die Leben spendende Kraft des Wassers in die ganze Welt zu tragen. Das hört sich nach einer schönen und harmlosen Aufgabe an. Ich hatte es immer so verstanden, als ob unser Abenteuer vor einem Jahr etwas ganz Außergewöhnliches gewesen
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