Finsterwald: Fantasy-Roman (German Edition)
Schnee war von seinem Fuß gefegt worden und die Wurzeln wölbten sich unter dem Kopfsteinpflaster des Hofs.
An seiner Basis kniete Carina nieder und hielt die Schüssel von sich fort. »Herrin des Webstuhls, wir bieten dir unsere Gabe dar«, sagte sie. »Sei uns gnädig.«
Sie kippte die Schüssel ein wenig und sah den Dampf von der warmen Sahne aufsteigen, als sie diese auf die Wurzeln des alten Baums goss.
Als die Sahne sich über den Stamm und das Kopfsteinpflaster verteilte, spürte Carina, wie Energie um sie herum knisterte. Von unter dem Boden her wallte schneller als das Licht eine alte Macht aus den tiefsten Wurzeln hervor, um sie einzuhüllen. Ein Bild brannte sich in ihrem Kopf ein, von Feuer und Leid und einer roten Kugel, die ihrer Gefangenschaft entrissen wurde und einen Spalt hinterließ wie eine blutende Wunde. Ein Moment der Agonie, als bohre sich eine Klauenhand in ihren Körper und risse ihr das Herz heraus. In ihren Gedanken sah Carina die Vision von bebender Erde, den Westflügel von Dark Haven, der in Trümmern versank, und panische Sterbliche, die vor Angst flohen. Der Strom griff nach ihr und das Bild der Heilung des Geistermädchens erfüllte sie. Schmerz, Angst und Verzweiflung wuschen über sie hinweg.
Dann wurde es dunkel.
»Was ist passiert?« Carina trug immer noch ihr Abendkleid und lag auf ihrem eigenen Bett. Jonmarc saß neben ihr und hielt ihre Hand. Lisette presste ein kühles Tuch auf ihre Stirn. Gabriel stand in einer Ecke gegenüber dem Feuer und sah sie besorgt an.
Jonmarc schüttelte den Kopf und Carina sah die Sorge um sie in seinen dunklen Augen. »Sag du es uns. In einem Augenblick vollbringst du das Opfer an den Baum, im nächsten wirst du ganz steif und fällst um. Deine Augen waren offen, aber gesehen hast du ganz sicher nichts. Wir haben dich hier heraufgebracht. Es ist schon beinahe einen halben Kerzenabschnitt her.«
Carina schloss die Augen und schluckte. Sie suchte nach Worten. »Als ich die Sahne auf die Wurzeln gegossen habe, hatte ich eine Vision.«
»Die Vettel?«, fragte Jonmarc unruhig.
Carina schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.« Sie gab die Vision an der Wurzel des Baumes wieder. Als sie endete, tauschten Gabriel und Jonmarc Blicke aus.
»Und du hast so etwas schon einmal gefühlt?«, fragte Gabriel.
Carina sah von Jonmarc zu Gabriel hin. »Ja, damals, als der Geist kam.«
Lisette trat vor. »Sie hat das Geistermädchen geheilt. Das Mädchen, das an der Pest gestorben ist. Ich habe es gesehen.«
Carina erzählte, was passiert war. Sie kam sich dumm vor und fügte ihre Erinnerung daran hinzu, dass etwas oder jemand sie dabei beobachtet hatte. Gabriels finstere Miene wurde noch düsterer.
»Wir nahmen an, dass Heiler nicht mehr nach Dark Haven kommen, weil die Vayash Moru sie nicht brauchen. Wir dachten, sie hätten Angst. Vielleicht gab es einen anderen Grund. Vielleicht haben sie hier etwas gefühlt, was sie nicht erklären konnten, etwas, was es ihnen unbehaglich gemacht hat.«
Jonmarc senkte den Blick. »Das ist alles meine Schuld. Ich hätte Carina nie hierherbringen sollen. Es ist zu gefährlich.«
Gabriel zuckte mit den Achseln. »Das ist nun nicht zu ändern. Es gab Stürme auf dem Dhasson-Pass. Schnee, so tief, dass ein Mann bis zur Hüfte darin versinkt. Jetzt wird niemand irgendwo hinreisen.«
Carina nahm Jonmarcs Hand. »Ich würde nirgendwohin gehen, auch wenn ich könnte. Das hier ist jetzt meine Heimat. Hier. Mit dir.«
»Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas geschieht.«
Carina lächelte. »Mir wird nichts passieren. Wer oder was auch immer das ist, hatte die Macht, mich zu verletzen, wenn er oder es das gewollt hätte. Es ist mehr, als wolle er, dass ich etwas weiß oder etwas tue.«
»Versprich mir, dass du nichts Dummes tun wirst«, bat Jonmarc.
»Ich verspreche es.«
Gabriel legte eine Hand auf Jonmarcs Schulter. »Wir kehren besser zum Fest zurück und lassen die Gäste wissen, dass Carina sich ausruht. Du solltest auch erwähnen, wie hart sie gearbeitet hat, um all die Patienten zu behandeln, die gekommen sind, sie zu sehen. Vielleicht wird das dafür sorgen, dass es keine Gerüchte gibt.«
Jonmarc beugte sich herab, um Carina auf die Stirn zu küssen. »Ich werde später noch einmal nach dir sehen. Und jetzt ruh dich aus, wie du mir ja immer so gern sagst.«
Carina lächelte und lehnte sich in die Kissen zurück. »Du hast die Art eines großen Heilers.«
Die Tür schloss sich hinter Jonmarc und
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