Finsterwald: Fantasy-Roman (German Edition)
ergriffen und festgehalten, während Meurig sie erstach. Wir haben es gesehen, mein König, aber wir konnten nichts tun.«
Tris schluckte hart. Was die Geister sagten, passte zu der Szene, die er, Carroway und Soterius in der Nacht des Anschlags vorgefunden hatten. Es beschrieben zu hören, ließ die Erinnerungen an diesen Moment wieder aufkommen. Auch seine bereits überwunden geglaubte Trauer spülte mit einem Mal über ihn hinweg, frisch und roh.
»Es war ein dritter Mann bei Euch in dieser Nacht«, sagte Tris. »Kait hat es geschafft, ihn mit ihrem Dolch zu töten. Er wird ebenfalls aussagen.«
Tris’ Kopf pochte schmerzhaft, als er den letzten Geist rief. Schwester Taru hatte ihn gewarnt, dass starke Magie selbst bei lebenslangem Training einen physischen Preis kostete. Das sei es, was Magier davon abhielte, zu glauben, sie seien Götter. Jetzt schmerzte sein Kopf so stark, dass er kaum sehen konnte. Doch ein weiterer Geist in der Uniform der Palastwache nahm vor ihm Form an. Dieser Geist trug eine Wunde in der Brust, die von Kaits Dolch herrührte. »Wir haben Eure Leiche in der Nacht des Staatsstreichs gefunden, zusammen mit Mutter und Kait«, sagte Tris. Selbst in seinen Ohren klang seine Stimme erschöpft. »In dieser Nacht hat Kaits Geist mir gesagt, dass sie Euch in Notwehr getötet hat. Zeigt vor diesem Gericht auf die, die in jener Nacht bei Euch waren.«
Der Geist sah Tris furchtsam an und wandte sich schnell zu Cerys und Meurig um. »Dies sind die Männer«, sagte er und zeigte auf die beiden entehrten Wachen. »Cerys hatte seine Befehle von Prinz Jared erhalten, in die Familiengemächer zu gehen. Wir sollten alle töten – auch Euch«, sagte er mit einem nervösen Blick auf Tris. »Ihre Wachen sind gefallen, bevor sie ahnten, was sie getroffen hat. Wir haben den Raum betreten und es war genau, wie die anderen Geister es Euch erzählten, nur hatte die Prinzessin ein Messer in ihren Kleidern und sie hat mich mit ihrem Dolch erstochen, als sie die Königin schreien hörte.«
»Wir haben nur unsere Befehle befolgt«, sagte Cerys trotzig. »War nicht unsere Sache zu beurteilen, was wir befolgen sollten und was nicht. Hängt uns, wenn es das war, und tut es nicht, wenn es das nicht war.«
Tris spürte, wie all die düsteren Gefühle des ganzen Tages über ihn hinwegfegten. Erschöpfung, Trauer und Wut schwappten durch ihn hindurch. Auf den Ebenen der Geister konnte er die dünnen, blauen Lebensfäden der beiden widerspenstigen Wachen sehen. Süße Mutter mit dem Kind, ich will Rache! , dachte Tris. Es wäre so einfach, seine Macht auf diese Lebensfäden zu konzentrieren und sie zu durchtrennen. Selbst jetzt zeigte keiner der beiden Männer Reue. O Göttin, hilf mir! Es wäre so einfach. Mutter und Kait wären gerächt. Das ist es, was ich in jener Nacht mehr wollte als mein Leben selbst, diese verantwortlichen Männer mit meinen eigenen Händen zu töten .
In seiner Erinnerung tauchte auf einmal ein großer, grünäugiger Mann auf. Lemuel, sein Großvater, der Seelenrufer, dessen Körper vom Obsidiankönig übernommen worden war. Ich war ein Narr zu denken, dass ich die Macht kontrollieren könnte, die ich nie hätte suchen dürfen, erinnerte sich Tris an Lemuels Worte. Mit dem Erwerben dieser Macht hatte er Lemuels Seele so geöffnet, dass der Obsidiankönig Lemuel hatte übernehmen können.
Keiner würde es mir übelnehmen, wenn ich sie töte , stritt Tris mit sich selbst. Ich habe das Recht dazu. Aber was ist mit den Scirranish? Was ist mit ihrer Rache? Süße Chenne, wie viel Blut wird vergossen werden, wenn jeder, der Verwandte an Jareds Männer verloren hat, eigene Rache nimmt? Mutter und Kait werden gerächt, wenn diese Männer hängen. Ich weiß besser als alle, was ihre Seelen erwartet – das Urteil der Vettel oder der Zorn der Formlosen. Leuchtende Lady! Wie kann das nur so wehtun?
Eine andere Erinnerung tauchte auf. Jared, von Whisky betrunken, aber nichtsdestoweniger gefährlich, in der Nacht, in der Tris nach Shekerishet zurückgekehrt war. Jareds Gesicht war nur eine Handbreit entfernt und stank nach Schweiß und Alkohol. Als Jareds Hand sich um seine Kehle geschlossen hatte, hatte Tris seinen Bruder lächeln sehen. Ich will sehen, wie du stirbst, hatte Jared gesagt, um mich daran zu erinnern, wie du bei deinem letzten Atemzug ausgesehen hast.
Tris erwachte aus der Erinnerung. Ich kann es nicht. Ich werde nicht wie Jared. Ich werde nicht Lemuels Fehler machen. Und dass es so
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