Fiona
Zimmer. Es war noch sehr früh am Morgen, die Sonne nur eine warme Glut am Horizont. Miles murmelte, daß sie ein Stück weiter an der Straße eine Mahlzeit erwartete und daß sie zunächst ein paar Stunden reiten wollten.
Miles und Fiona standen nebeneinander auf der schmalen Veranda des kleinen Gasthofes, vor ihnen Sir Guy und dahinter Miles’ Gefolgsleute mit den Pferden und den Packmulis.
»Ist alles bereit? « fragte Miles Sir Guy. »Hat der Gastwirt seinen Lohn bekommen? «
Ehe Sir Guy antworten konnte, kam ein kleines Mädchen, das ungefähr vier Jahre alt sein mochte, aus dem Gasthof herausgeschossen und wich zur Seite, um Miles nicht gegen die Beine zu laufen. Dabei fiel es die Vortreppe hinunter. Sofort lag Miles auf den Knien und zog das in Lumpen gekleidete Kind in seine Arme.
»Sei still, Kleines«, flüsterte er und richtete sich auf, während das Kind sich an ihn klammerte.
Für Sir Guy und seine Ritter war das ein vertrauter Anblick, und sie warteten geduldig mit gelangweilter Miene, während Miles das Kind beruhigte. Fiona achtete überhaupt nicht auf Miles. Ihr einziger Gedanke galt dem verletzten Kind. Sie streckte den Arm aus und legte die Hand auf den Hinterkopf des weinenden Kindes.
Das Kind löste das Gesicht von Miles’ Schulter und blickte Fiona mit tränenverschleierten Augen an. Mit einem neuen Tränenausbruch hob das Kind die Arme und warf sich an Fionas Hals.
Es war schwer zu unterscheiden, wer erstaunter war:
Miles, Sir Guy oder die Montgomery-Ritter. Miles starrte Fiona mit offenem Mund an, und einen Moment lang schien sein Stolz einen Dämpfer zu erfahren.
»Still jetzt«, sagte Fiona mit einer so gütigen Stimme, wie Miles sie noch nie bei ihr gehört hatte. »Wenn du zu weinen aufhörst, wird Sir Guy dich auf seinen Schultern reiten lassen. «
Miles hüstelte, um das Lachen zu überdecken, das ihn zu ersticken drohte. Die häßliche Narbe und die hünenhafte Gestalt von Sir Guy schreckten die meisten Leute ab, und ganz besonders Frauen. Er hatte noch niemand gesehen, der es gewagt hätte, den Riesen einem Kind als Reitpferd anzubieten.
»Du wirst so groß sein«, fuhr Fiona fort, das Kind zu überreden, »daß du bis zum Himmel langen und dir einen Stern pflücken kannst. «
Das Kind schniefte, zog sich etwas von Fiona zurück und sah sie an. »Einen Stern? « sagte es mit einem Schluckauf.
Fiona streichelte die nasse Wange des Kindes. »Und wenn du den Stern gepflückt hast, kannst du ihn Sir Miles schenken als Belohnung für das neue Kleid, das er dir kaufen wird. «
Die Blicke von Miles’ Gefolgsleuten wanderten zu ihrem Herrn, um seine Reaktion zu beobachten — und keiner wagte, über seine entrüstete Miene zu lachen.
Das Kind schniefte abermals und bog sich zur Seite, um Lord Miles ansehen zu können. Es lächelte Miles zu, aber als es zu Sir Guy hinübersah, klammerte es sich wieder an Fiona.
»Du brauchst keine Angst vor ihm zu haben«, sagte Fiona. »Er mag Kinder sehr gern, nicht war, Sir Guy? «
Sir Guy betrachtete Lady Fiona mit einem harten, abschätzenden Blick. »Tatsächlich habe ich Kinder von Herzen gern, Mylady; aber sie haben wenig für mich übrig. «
»Das werden wir jetzt abstellen. Nun, Kind, jetzt steigst du auf Sir Guys Rücken und bringst uns einen Stern zurück. «
Das Kind, zunächst ein wenig zögernd, ging zu Sir Guy und klammerte sich an dessen Kopf, als er es auf seine Schultern setzte.
»Ich bin das größte Kind der Welt«, jubelte es, als Sir Guy mit ihm fortging.
»Ich habe Euch noch nie lächeln sehen«, sagte Miles.
Sofort erlosch Fionas Lächeln wieder. »Ich werde Euch für das Kleid des Kindes entschädigen, wenn ich nach Hause zurückkehre. « Sie wandte sich ab.
Miles faßte ihre Hand und führte sie aus der Hörweite der Männer. »Die Kleine ist doch nur ein Bettelkind. «
»Oh? « gab sie leichthin zurück. »Ich dachte mir, vielleicht sei es eines von Euren Kindern. «
»Von meinen? « fragte er verwirrt. »Glaubt Ihr, ich würde eines meiner Kinder in Lumpen herumlaufen lassen, ohne Aufsicht? «
Sie wandte sich ihm zu. »Und wie könnt Ihr wissen, wo Ihr überall Kinder habt? Führt Ihr Buch darüber? Über ihren Verbleib? «
Miles’ Gesicht spiegelte verschiedene Gefühle wider: Ungläubigkeit, leichter Zorn, Belustigung. »Fiona, wie viele Kinder habe ich denn Eurer Vermutung nach? «
Sie reckte das Kinn in die Luft. »Ich weiß nicht, wie viele Bastarde Ihr gezeugt habt, noch kümmert es mich. «
Er
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