Firelight 2 - Flammende Träne (German Edition)
»Willst du die Wahrheit hören, Jacinda? Wie wäre es damit? Ich kann deinen Anblick nicht mehr ertragen. Wie du hier so trübsinnig herumschleichst, als müsste man Angst haben, dass du dich jeden Moment umbringst … und das alles wegen eines Kerls, der dich wahrscheinlich schon längst vergessen und sich bereits wieder auf die Jagd nach frischer Beute gemacht hat.«
Meine Finger ballen sich zu Fäusten und bohren sich dabei in meine Handflächen. Ich will in diesem Moment so vieles sagen – hauptsächlich, dass Will mich nicht vergessen hat. Doch ich sollte nicht abstreiten, was Cassian sagt, sondern hoffen, dass es stimmt. Ich habe versprochen, Will zu vergessen, doch tief im Inneren sehne ich mich noch immer verzweifelt nach ihm – das Gefühl durchsetzt meinen ganzen Körper, wie das Gift einer Schlange. Ich habe Will nicht. Ich habe gar nichts. Nichts außer einem irren Bedürfnis, mich an irgendetwas festzuhalten, etwas, was mich in der Wüste meiner Existenz am Leben erhält.
Stattdessen sage ich: »Klar, und wenn ich tot wäre, würde es dir schier das Herz brechen, oder?«
Er starrt mich ungläubig an. »Glaubst du etwa, ich will, dass du tot bist?« Seine Augen weiten sich und er mustert mich mit forschendem Blick. Ich beginne, an mir selbst zu zweifeln und zu denken, dass ich ihm vielleicht doch wichtig bin. Ich fange an zu zittern, als in mir ein Sturm aus widersprüchlichen Gedanken und Gefühlen tobt. »Was willst du denn von mir, Jacinda?«
Ich blicke auf seine Hand, die noch immer auf meinem Arm ruht. Meine Haut brennt, besonders an der Stelle, an der er mich berührt.
»Lass mich los.« Er steht so dicht neben mir und überragt mich so weit, dass ich mich ganz klein fühle, auch wenn ich das nicht bin. »Ich muss los«, sage ich noch einmal, jetzt lauter. Und das stimmt auch. Ich muss wirklich gehen. Jetzt sofort.
Seine stumme Antwort darauf besteht darin, dass seine dunkle Drakihaut immer wieder blitzartig unter seiner menschlichen Haut durchscheint und mich daran erinnert, was er ist. Was ich bin. Und ich muss ungewollt daran denken, wie alle immer der Meinung waren, dass wir perfekt zusammenpassen. Jetzt denken sie dasselbe über ihn und Tamra.
Seine Lippen ziehen sich zurück und geben den Blick auf seine Zähne frei, deren strahlendes Weiß stark mit seiner olivfarbenen Haut kontrastiert. »Warum? Damit du allein sein kannst? Ist dir das lieber? Tagsüber Fische ausnehmen und nachts in dein Kissen heulen? Ist es das, was du willst? Ist dir eigentlich schon mal in den Sinn gekommen, dass ich mich nie von dir abgewendet habe – auch wenn du mich von dir weggestoßen hast? Du bist nichts weiter als ein egoistisches, ängstliches kleines Mädchen, das lieber seine Wunden leckt, als sein Leben in die Hand zu nehmen.«
Seine Worte treffen mich tief und versetzen meinem Herzen einen Stich. Er liegt damit viel zu nah an der Wahrheit. Du bist nur ein egoistisches, ängstliches kleines Mädchen …
Mein Blick verändert sich, wird schärfer, und ich weiß, dass ich ihn jetzt aus senkrechten Pupillen heraus anstarre. Dampf brennt in meinem Hals und entweicht heiß durch meinen Mund und meine Nase.
Stolpernd mache ich einen Schritt zurück. Diesmal bewegt er sich nicht und lässt mich gehen.
Ich drehe mich um und sprinte durch die feuchte Luft, bis meine Lunge brennt und ich bereit bin, aus meiner zu engen Brust auszubrechen. Ich genieße es regelrecht – es ist eine Mischung aus Wohlgefühl und Schmerz, eine willkommene Abwechslung. Sogar als ich langsamer werde, nehme ich mir fest vor, einfach weiterzugehen, bis ich mich wieder gefasst habe. Bis ich nicht mehr Cassians Arme um mich spüre. Bis ich seine Worte nicht mehr höre.
Egoistisches, ängstliches kleines Mädchen. Egoistisches, ängstliches kleines Mädchen.
Insgeheim hasse ich ihn ein bisschen dafür, dass er meine Gedanken erraten hat. Dass er vielleicht recht hat mit dem, was er gesagt hat.
Die rotgoldenen Strahlen der untergehenden Sonne scheinen durch den Nebel. Das feurige Licht berührt stellenweise meine Haut, taucht mich hier und da in Gold und erinnert mich daran, wie ich aussehe, wenn ich mich vollständig verwandle – daran, was ich bin. Was ich immer sein werde. Die Wüste hat es nicht geschafft, das absterben zu lassen. Nichts kann das.
Dessen bin ich mir jetzt ganz sicher. Der Draki in mir wird nie vergehen. Vielleicht ist das das Einzige, was ich überhaupt noch weiß.
Ich habe den Versuch meiner Mutter
Weitere Kostenlose Bücher