Firelight 2 - Flammende Träne (German Edition)
uns vor dem Zubettgehen Geschichten über das Fliegen erzählt hat. Mum hat dabei stets nachsichtig gelächelt. Sie konnte seine Leidenschaft für den Wind und den Himmel nie so ganz nachvollziehen. Sosehr Dad sie auch geliebt hat, hat er sich doch immer gewünscht, dass wir mehr nach ihm kommen. Zumindest im Hinblick auf seine Liebe zum Fliegen. Und heute Abend würde es tatsächlich so sein.
Bevor wir unsere Flugkleidung ablegen, greift Tamra nach meiner Hand und drückt sie. Sie wirkt so glücklich, so im Reinen mit sich selbst, dass ich weiß, dass das hier das Richtige ist. Ich, hier inmitten des Rudels – das ist der Ort, wo ich hingehöre. In diesem Augenblick bin ich zuversichtlich, dass alles gut werden wird. Wir lassen unsere Gewänder fallen und streifen dabei auch unsere menschlichen Hüllen ab.
Das vertraute Ziehen beginnt, sich in meiner Brust bemerkbar zu machen, als mein menschliches Äußeres dahinschmilzt und Platz für meine dickere Drakihaut macht.
Ich schaue nach oben in die Nacht und spüre, wie meine Wangen sich zusammenziehen und meine Knochen sich verlängern und zuspitzen. Mein Atem wird tiefer, während meine Nase ihre Form ändert und der Knorpel knackt, als die Grate entlang des Nasenrückens hervortreten. Meine Glieder lockern sich und werden länger. Dieses Ziehen in meinen Knochen fühlt sich gut an, wie eine wohltuende Dehnung nach einer endlos langen Autofahrt.
Meine Flügel schieben sich hinter meinen Schulterblättern heraus und ich seufze genussvoll. Mit einem leisen Geräusch entfalten sie sich vollständig und sind jetzt etwas länger als mein Rücken. Ich bewege sie und hebe die drahtigen goldenen Schwingen prüfend in die Luft.
Ich bemerke die Schäfchenwolken hoch oben, die an dem dunklen Nachthimmel wie Rauch aussehen. Ich kann es kaum erwarten, sie zu durchbrechen und ihren Dampf auf meiner Haut zu spüren. Ich sehe hinunter auf meinen Körper; meine Haut leuchtet wie Licht, das durch Bernstein bricht. Mein Blick wandert zu meiner Schwester und ihr Anblick raubt mir fast den Atem. Sie sieht wunderschön aus mit ihrer schillernden silberweißen Haut – wie der Mond zu meiner Sonne.
»Bist du bereit?«, frage ich in unserer grollenden Drakisprache, der einzigen Sprache, die ich sprechen kann, wenn ich mich vollständig verwandelt habe, weil sich dabei auch die Stimmbänder verändern. Jetzt kann mir Tamra zum ersten Mal in der altehrwürdigen Sprache unserer Vorfahren, echter Drachen, antworten.
Ihre Augen mit den vergrößerten Regenbogenhäuten und den dunklen, senkrechten Pupillen starren mich an. »Ja«, grollt sie und ich weiß, dass sie ihr ganzes Leben lang auf diesen Augenblick gewartet hat.
Elegant hebt sie vom Boden ab. Ich drücke mich mit den Fußballen ab und steige in die feuchte Luft. Dabei lasse ich Tamra den Vortritt, damit ich ihr zusehen kann. Ihr Anblick ist Ehrfurcht erregend: das perlenartige Silber ihrer Drakihaut und die hauchzarten Flügel, die wie Schwingen aus glitzerndem Eis funkeln.
Sie leuchtet wie ein weißer Stern am dunklen Nachthimmel. Sie wirft einen Blick zurück und ruft: »Komm schon, ich dachte, du wärst so schnell. Beweis es mir!«
Ich strahle über das ganze Gesicht und Wind rauscht über mich hinweg, als ich mich im Flug nach oben schraube, um Tamra einzuholen. Es ist, als hätte ich mich seit Ewigkeiten nicht mehr so gefühlt. Sogar ohne den Kuss der Sonne auf meiner Haut ist es ein tolles Gefühl, endlich wieder über den Himmel zu fliegen.
Tamra bewegt sich vorsichtig; sie traut ihrer neuen Fähigkeit und den Luftströmen um uns herum noch nicht ganz. Wir bilden das Schlusslicht der Gruppe.
Die anderen zischen an uns vorbei und ihre Rufe verlieren sich im Tosen des Windes. Im Vorbeifliegen sehen sie wie verwischende Farbstreifen aus: Az schillert blau mit ein paar rosafarbenen Stellen und die andere Erddraki neben mir schimmert bronzefarben. Mein Blick fällt auf Miram, deren Haut eine langweilige mausbraune Farbe hat. Die Onyxdrakis sind jetzt am schwersten zu erkennen, weil ihre schwarz und violett schillernde Gestalt mit dem Nachthimmel verschmilzt. Auch deshalb waren sie schon immer die besten Krieger unter uns. Niemand sieht sie kommen.
Ich werde langsamer und bemerke Corbin und Cassian, die mit unglaublich hoher Geschwindigkeit durch die Nacht fliegen. Der Wind pfeift schrill um sie herum, als sie in wilden Zickzackbewegungen auf eine imaginäre Ziellinie zurasen. Sie fliegen Manöver, düsen aneinander vorbei
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