Firelight 2 - Flammende Träne (German Edition)
und entgehen immer wieder nur knapp einem Zusammenstoß. Ich schüttle den Kopf. Sie sind immer noch dieselben dummen Jungen, die vor dem Rudel angeben wollen … oder in diesem Fall, vor Tamra. Oder vor dir , flüstert eine Stimme in meinem Kopf, aber ich schiebe sie mit einem kräftigen Flügelschlag schnell beiseite.
Tamra ruft erneut: »Jacinda! Komm schon!«
Ich ziehe meine Flügel zurück und schnelle nach vorn, zügle mich aber, als ich die Flügel meiner Schwester wie wild schlagen höre, während sie versucht, mit meiner Geschwindigkeit mitzuhalten.
Seite an Seite steigen wir nach oben. Das ist mehr als genug, denke ich. Mehr, als ich mir je hätte träumen lassen. Dass alle anderen an uns vorbeiziehen, ist uns egal. Wir lachen und drehen uns im Wind, durchbrechen die neblige Nacht und planschen durch die Luft wie Kinder in einem Schwimmbecken.
Ein Kindheitsvergnügen, das wir nie hatten. Bis jetzt.
10
» W arum kommst du nicht mit zu uns? Wir könnten ein paar Wurzelsamen rösten und uns einen Film anschauen«, schlage ich vor, als Tamra und ich zusammen vom Flugplatz nach Hause gehen. Mein ganzer Körper kribbelt noch immer und ich bin so hellwach und lebendig von dem Flug gerade eben wie seit Langem nicht. Nicht seit … Ich runzle die Stirn und erlaube es diesen Erinnerungen nicht, sich in mein Bewusstsein zu stehlen und meinen neu gefundenen Seelenfrieden in Gefahr zu bringen.
»Klar, gerne«, sagt sie.
Ich lächle und denke an all die Abende, an denen Mum, Tamra und ich bis spät in die Nacht zusammen auf der Couch gesessen und Filme geguckt haben – und dann fällt mir plötzlich ein, wie wenig ich Mum in letzter Zeit gesehen habe. Sie schläft wahrscheinlich schon, völlig kaputt von ihrer langen Schicht. Als ich nach dem Abendessen aus dem Haus gegangen bin, hat sie erwähnt, dass sie vermutlich gleich nach dem Duschen zu Bett gehen würde.
»Vielleicht will Mum auch mitschauen.«
»Ja«, weiche ich aus, »falls sie noch wach ist.«
Tamra wirft mir einen argwöhnischen Blick zu. Ich weiß, was sie denkt: Mum ist immer aufgeblieben und hat auf uns gewartet, wenn wir unterwegs waren. Früher zumindest, als sie noch das Gefühl hatte, mehr Kontrolle über unsere Welt zu haben.
Ich öffne den Mund, um Tamra zu erklären, in welcher Lage sich Mum momentan befindet, halte jedoch plötzlich inne. Ich schließe den Mund wieder und lausche und spähe in den milchig weißen Nebel, der um uns herumwabert und noch dicker scheint als sonst.
»Jacinda?«
»Irgendetwas stimmt hier nicht«, sage ich leise und hebe eine Hand.
Auch wenn keine Sirenen zu hören sind, ist hier irgendetwas nicht in Ordnung. In der Siedlung herrscht eine unheimliche Stille. Die Sperrstunde beginnt erst in dreißig Minuten, aber schon jetzt ist niemand mehr auf der Straße, mit Ausnahme derjenigen, die sich auf dem Heimweg vom Flugplatz befinden. Im Freizeitzentrum sollte ein Jako-Turnier stattfinden, doch als wir an dem Gebäude in der Mitte der Stadt vorbeikommen, ist es vollkommen dunkel. Das Klimpern der Spielsteine fehlt. Ebenso das übliche Siegesgebrüll, wenn jemand den Spielstein seines Gegners vom Brett wirft.
Dann taucht aus dem Nebel heraus einer der Älteren auf. Es wirkt fast komisch, seine altehrwürdige Gestalt so schnell laufen zu sehen. »Tamra, du wirst gebraucht. Geh sofort zu Nidia. Schnell!«
Ich denke nicht daran, allein hierzubleiben, also rasen wir zu zweit durch die Straßen und lassen den Älteren hinter uns zurück. Das Echo unserer Schritte hallt durch die Siedlung. Eine kleine Gruppe hat sich vor Nidias Haus versammelt: Severin und noch ein anderer Älterer, zwei Wachposten mit blauen Armbändern, Nidia und Jabel.
Dass Nidia und Jabel beide hier sind, lässt mich stutzig werden. Abrupt bleibe ich stehen. Jemand ist in das Rudel eingedrungen.
Tamra geht noch ein paar Meter weiter und hält dann inne, als sie bemerkt, dass ich ihr nicht mehr folge. Sie blickt verunsichert zurück zu mir und dann wieder zu der Gruppe. Ich bringe kein Wort heraus. Mein Körper ist zu keiner Bewegung fähig.
Nidia und Jabel kommen nur aus einem einzigen Grund zusammen – wenn sich ein Eindringling im Rudel befindet. Nidia wird für ihre Fähigkeit, das Gedächtnis zu vernebeln, vielleicht mehr geschätzt, aber Jabel ist ebenso nützlich. Als Hypnosdraki kann sie Menschen hypnotisieren und die Lücken, die Nidia hinterlässt, mit falschen Erinnerungen füllen.
Mein Herzschlag verfällt in einen schnellen,
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