Firelight 2 - Flammende Träne (German Edition)
ich nicht mehr hier wäre. Meine Gegenwart hat ihrer beider Leben nicht gerade einfacher gemacht.
»Gute Nacht, Tam«, sage ich, aber was ich mich wirklich sagen höre, ist Leb wohl . Bald werde ich weg sein.
»Nacht, Jace.« Mit einem Nicken verlässt meine Schwester das Haus.
15
N achdem Tamra gegangen ist, dusche ich und ziehe eine Schlafanzughose und ein ärmelloses Top an. Am Ende des Ganges flackert blaues Fernsehlicht aus Mums Zimmer.
Als ich den dunklen Flur durchquere, knarzt der Holzboden unter meinen Füßen. Plötzlich erinnere ich mich daran, wie ich vor vielen Jahren auf Zehenspitzen denselben Gang entlang in das Zimmer meiner Eltern gelaufen bin. Tamra hat das nie getan, immer nur ich. Ich kroch vorsichtig über ihre kühlen Bettlaken, legte mich zwischen sie und fühlte mich so unendlich sicher und geliebt, wenn sie ihre Arme um mich gelegt haben.
Am Morgen beim Aufwachen musste ich mir dann jedes Mal dieselbe Predigt anhören, dass ich doch schon ein großes Mädchen sei und in meinem eigenen Bett schlafen solle. Und ein paar Tage später schlich ich doch wieder zu ihnen. Sie haben mich nie abgewiesen.
Jetzt sehe ich mich in dem Zimmer um und betrachte Mum, die ganz allein in dem riesigen Bett liegt. Ich habe mich immer geborgen gefühlt, mit ihnen hier in diesem Bett. Nichts und niemand konnte mir etwas anhaben.
Ich gehe zum Fernseher, um ihn auszumachen.
»Es ist alles meine Schuld.«
Ich erstarre, als ich Mums Stimme höre. Ihr Tonfall ist so sanft. Schrittweise nähere ich mich dem Bett. »Was sagst du da, Mum?«
»Ohne mich wäre nichts von alldem passiert.«
Mit leerem Blick starrt sie auf den Fernseher und sieht mich dabei nicht an. »Ich hätte euch irgendwo anders hinbringen sollen, bloß nicht dorthin.«
Zunächst weiß ich nicht, was sie meint. »Wohin?«
»Weil ich egoistisch war und in Erinnerungen schwelgen wollte …«
»Erinnerungen woran?«
»An deinen Vater.« Jetzt dreht sie ihr Gesicht und verbirgt es in ihrem Kopfkissen. Ein ersticktes Geräusch, das nach Weinen klingt, dringt an mein Ohr. Das erschüttert mich. Ich kann mich nicht erinnern, dass Mum jemals geweint hätte. Noch nicht einmal, als Dad vermisst wurde.
»Chaparral. Es war der einzige Ort, den dein Vater und ich jemals für uns hatten. Auch wenn es nur für ein paar Tage war, bevor er mich dazu überredet hat, wieder hierher zurückzukommen. Dort gab es nur uns beide. Kein Rudel. Nur wir beide unter dem Wüstenhimmel.«
Ich verkneife es mir, ihr zu erzählen, dass sie beide dort nicht unbemerkt geblieben waren. Zumindest Mum nicht: Man hat sie beim Fliegen gesichtet. Ihretwegen ist Wills Familie dorthin gezogen. Während die meisten Leute einen Draki einfach als einen seltsamen Vogel oder ein merkwürdig konstruiertes Gerät abtaten – ein angebliches UFO –, wussten andere sehr wohl, was sie da vor sich hatten. Jäger achteten auf solche Berichte.
Aber ich kann es ihr nicht übel nehmen. Ich weiß, wie es ist, Risiken für jemanden einzugehen, den man liebt … Regeln zu brechen, um mit jemandem zusammen sein zu können, den man liebt. Ich lege den Kopf schief und betrachte meine Mutter genau. Ich habe immer geglaubt, ich würde nach Dad kommen, aber vielleicht habe ich mehr von meiner Mutter geerbt, als mir bisher klar war.
»Es ist nicht deine Schuld«, sage ich, stelle den Fernseher ab und ziehe die Bettdecke um sie herum fest, die sie mit den Füßen von sich geschoben hat.
Geräuschlos schläft sie wieder ein. Einen Augenblick lang blicke ich hinunter auf den schemenhaften Umriss ihrer Gestalt, dann schlüpfe ich neben ihr ins Bett, unter das vertraute, kühle Laken. Ich rücke nah an sie heran, um ihre Wärme spüren zu können. Ich lege eine Hand zwischen meine Wange und das Kissen, schließe die Augen und suche nach der Geborgenheit, die ich hier immer gefunden habe.
Ich habe den Entschluss bereits vor Tagen gefasst, aber meine Hand zittert dennoch, als ich den Brief unterschreibe. Das war’s. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich falte das Blatt Papier vorsichtig viermal und lege es unter das Kissen neben die erste Nachricht, die ich geschrieben habe. Mum und Tamra hatten je einen eigenen Brief verdient.
Ein Dielenbrett knarzt und ich versteife mich einen Moment lang. Hastig werfe ich einen Blick über die Schulter, weil ich Angst habe, dass Mum früher von der Arbeit nach Hause gekommen ist. Ich starre auf die offen stehende Tür zu meinem Zimmer, doch da ist nichts. Nicht das
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