Firelight 2 - Flammende Träne (German Edition)
gefangen genommen worden.«
Doch das Gift entweicht nicht aus meinem Körper. Es pulsiert noch immer in meinen Adern. Die Schuldgefühle. Die furchtbare Gewissheit, dass ich für all das verantwortlich bin.
Cassians Daumen halten inne, doch ich sehe nicht auf. Ich bringe es nicht fertig, ihm in die Augen zu sehen.
Schmerzerfüllt nicke ich. »Es stimmt.«
Der Griff seiner Hände lockert sich. Jetzt berührt er mich kaum mehr.
»Aber du konntest entkommen?«, höhnt Severin. »Was für ein Zufall.«
Meine Augen brennen.
Cassians Hände entgleiten mir jetzt ganz.
Meine eigenen Hände hängen nun leer und mit zuckenden Fingern seitlich an mir herab. Und ich weiß nicht genau, woher der Schmerz kommt, den ich plötzlich spüre. Davon, dass Miram verschwunden ist … vielleicht für immer? Davon, dass ich dafür verantwortlich bin? Oder von dem Gefühl, das Cassians plötzliches Abrücken von mir hinterlassen hat?
Irgendwie ist er mir wichtig geworden. Vielleicht war das schon immer so. Auch wenn ich gar nicht so genau weiß, wie wir eigentlich zueinander stehen. Ich weiß, dass er mir etwas bedeutet. Dass ich die Vorstellung nicht ertrage, ihn und Will zu verlieren.
Wir berühren uns jetzt nicht mehr und ich suche in seinem Gesicht nach einem Anzeichen dafür, dass er mir nicht die Schuld an allem gibt … dass er mich nicht hasst.
Severin stellt sich zwischen uns und packt mich am Arm.
Seine Finger sind lang und kräftig und umschließen fast meinen ganzen Oberarm. Das ruft mir wieder in Erinnerung, dass er aus gutem Grund der Alphadraki unseres Rudels ist. Er ist der Größte und Stärkste von uns. Irgendwann wird Cassian der Alphadraki sein, aber bis dahin bekleidet Severin diese Position. Und ich bin ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Er zerrt mich mit sich und ich versuche, mich von dieser ruppigen Behandlung nicht einschüchtern zu lassen. Ich habe in den letzten Tagen schlimmere Qualen erlitten. Vielleicht habe ich das sogar verdient. Immerhin habe ich ihm gerade eröffnet, dass seine Tochter von Jägern gefangen genommen wurde. Ich hätte ihm genauso gut sagen können, dass sie tot ist.
Ich stolpere bei dem Versuch, mit ihm Schritt zu halten. Wir lassen die anderen weit hinter uns. Ich kämpfe gegen den Drang an, mich umzudrehen und festzustellen, ob auch Cassian uns folgt.
»Wohin gehen wir?« Doch schon eine Sekunde darauf bereue ich diese Frage, als Severin mir einen von Grund auf hasserfüllten Blick zuwirft. Eine solche Reaktion habe ich bei ihm noch nie erlebt. Bisher hat er unsere Meinungsverschiedenheiten nie persönlich genommen. Sie waren für ihn immer nur Mittel zum Zweck. Ein Machtwerkzeug.
In der Stadt ist es ganz still, als wir durch den Nebel die Hauptstraße hinunterlaufen. Es sind kaum Leute auf der Straße. Merkwürdig, immerhin ist es mitten am Tag. Dieser Mangel an geschäftigem Treiben erinnert mich an die Grabesstille nach dem Verschwinden meines Vaters. Im Rudel herrschte damals über einen Monat lang Ausgangssperre und keiner hat das Haus verlassen. Nur die wichtigsten Grundbedürfnisse wurden gedeckt und nur die für das tägliche Leben bedeutsamsten Arbeiten verrichtet. Ich erinnere mich, dass einige der anderen Kinder sich damals immer beschwert haben, dass es die langweiligste Zeit ihres Lebens sei. Für mich hingegen war es die elendste und unglücklichste.
All das fällt mir auf einmal wieder ein und hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Jetzt befinde ich mich wieder in der gleichen Situation. Nur dass ich damals noch auf eine bessere Zukunft hoffen konnte. Darauf, dass Dad tatsächlich wieder zurückkommen würde. Denn das hat uns Mum damals immer ins Ohr geflüstert, wenn sie uns abends ins Bett gebracht hat. Jetzt kenne ich die Wahrheit. Sie hat entweder uns oder sich selbst belogen. Darüber konnte sie überhaupt keine Gewissheit haben.
Auf einmal will ich sie unbedingt sehen. Wie damals wünsche ich mir, dass meine Mum mich tröstet. Mich im Arm hält und mir sagt, dass alles gut wird. Auch wenn ich es eigentlich besser weiß. Auch wenn mir jetzt der Glaube daran fehlt.
Als ich mit Severin unser Haus betrete, wirken Mums Augen wie tote Seen, in denen kaum noch Leben ist. Die anderen Leute bleiben draußen auf der Veranda stehen. Mit Ausnahme von Cassian. Er ist weg.
Mum blickt mich an, als würde sie mich gar nicht erkennen, mich gar nicht sehen.
»Mum.« Ich gehe neben dem Bett in die Hocke.
Ihr glasiger Blick huscht über mein Gesicht. Sie
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