Firelight 2 - Flammende Träne (German Edition)
hebt eine Hand und streicht mir damit über das verfilzte Haar.
»Mum, ich bin’s«, sage ich. »Ich bin wieder zurück. Mir geht es gut.«
Endlich bewegen sich ihre Lippen. Sie murmelt meinen Namen. Dann schlägt mir der Geruch ins Gesicht. Ich blicke zum Nachttischchen und bemerke die Flasche Verdawein, die dort steht.
Severin schnaubt verächtlich. »Ich bezweifle, dass sie überhaupt bemerkt hat, dass du weg warst.«
Ich blicke zu ihm auf und dann wieder zu Mum zurück. Ist das hier meine Schuld? Habe ich ihr das Leben so schwer gemacht, dass sie ihren Kummer in Alkohol ertränkt?
Das Geräusch stampfender Schritte dringt von draußen ins Schlafzimmer. Dazu Stimmengewirr.
Tamra platzt herein, dicht gefolgt von Az. Mit wackligen Beinen stehe ich auf und bin mir nicht sicher, welche Reaktion die beiden zeigen werden.
»Du bist am Leben«, sagt Tamra mit brüchiger Stimme.
Ihre Haare sind nicht so perfekt frisiert wie sonst. Die silberweiße Mähne wirkt genauso kraus und wild wie meine eigenen Haare. Im Grunde wirkt sie von Kopf bis Fuß völlig verwahrlost. Mit ihren zerrissenen Jeans und ihrem T-Shirt sieht sie eher aus wie ich.
Ich nicke. »Ich bin am Leben.«
Mehrere Augenblicke verstreichen, ohne dass sie sich bewegt oder etwas sagt. Stumm sehen wir einander in die Augen. Doch dann fallen wir uns schluchzend in die Arme.
Zunächst denke ich, dass die Tränen und die hässlichen, unkontrollierten Geräusche alle von ihr kommen. Doch dann spüre ich die Feuchtigkeit auf meinen Wangen und die Vibration in meiner Kehle und meiner Brust. Ich weine mit ihr.
Az streicht mir sanft über den wunden Rücken.
»Es tut mir so leid, Tam«, sage ich.
»Nein, mir tut es leid! Ich gebe dir immer die Schuld an allem und du erträgst es einfach so. Ich bin so froh, dass du nicht tot bist … so froh, dass du wieder hier bist.«
Erleichtert schließe ich die Augen. Das ist der Grund. Das ist der Grund dafür, dass ich zurückkommen musste. Weil ein Teil von mir immer mit Tamra verbunden sein wird. Ich hätte sie nicht einfach über mein Verschwinden im Unklaren lassen können. Dieses Leid hätte ich ihr unmöglich zufügen können.
»Ja, sie ist am Leben, aber Miram ist verschwunden. Meine Tochter «, unterbricht Severin uns und wir lösen uns voneinander. Ich starre ihn an wie ein Beutetier eine Raubkatze. Er richtet seine Aufmerksamkeit auf mich. »Das hier wird nicht ohne Folgen bleiben. Diesmal nicht. Das war deine letzte Chance, Jacinda.«
Das Knarzen eines Dielenbrettes lenkt meine Aufmerksamkeit auf die Schlafzimmertür. Dort steht Cassian, kommt aber nicht herein. Aber immerhin ist er da. Er ist zurückgekommen. Ich spüre ein Flattern in der Brust.
»Binnen einer Stunde wird sich das gesamte Rudel versammeln.« Bei diesen Worten aus Severins Mund wendet sich mein Blick wieder ihm zu. »Du wirst dich selbst vor allen für deine Verstöße rechtfertigen.«
Mir wird öffentlich der Prozess gemacht?
So etwas kommt im Rudel nur selten vor. Ich kann mich lediglich an ein oder zwei öffentliche Prozesse in meinem Leben erinnern, aber es kommt auch nicht häufig vor, dass jemand gegen die Regeln verstößt.
Severins dunkler Blick richtet sich auf mich. »Sei pünktlich. Du willst doch bestimmt nicht, dass ich dir einen Wachmann schicke.« Er wendet sich zum Gehen. An der Tür hält er kurz inne und mustert seinen Sohn. »Wenn ich es mir recht überlege: Cassian, sorg du doch dafür, dass sie pünktlich kommt.«
Soll heißen: Sorg dafür, dass sie nicht entwischt.
Die Erleichterung, die ich beim Anblick von Cassian verspürt habe, verpufft. Er wird mein Gefängniswärter sein.
»Das wird schon alles wieder.« Tamra drückt meinen Arm und lenkt meine Aufmerksamkeit wieder auf ihr ernst dreinblickendes Gesicht. »Ich halte zu dir.«
»Ich auch«, wirft Az ein.
Ich lächle die beiden an. »Ich bin so froh, euch beide zu haben.«
Mein Blick fällt auf Mum. Sie versucht gerade, sich im Bett aufzusetzen. Ich fasse sie am Arm und helfe ihr dabei.
»Ich gehe Tee kochen«, bietet sich Az rasch an und eilt aus dem Schlafzimmer.
Cassian sieht schweigend von der Tür aus zu, wie Tamra und ich uns um unsere Mutter kümmern.
»Kannst du uns bitte mal einen Moment allein lassen?«, ruft Tamra ihm bissig zu, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Sofort muss ich daran denken, wie wir drei das letzte Mal zusammen hier in demselben Raum gestanden haben. Die hässlichen Worte … Anscheinend hat auch meine
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