Firelight 2 - Flammende Träne (German Edition)
fliegen zu können, ihren Zweck erfüllen.«
Ich starre in seine schwarzen Augen und weiß nicht, ob er blufft oder nicht. Aber ich werde es nicht darauf ankommen lassen. Ich schüttle seine Hand ab.
Ich sage kein Wort. Ich werde ihm nicht die Genugtuung geben, Zustimmung aus meinem Mund zu hören. Ich atme tief ein und verwandle mich.
Meine Menschengestalt verschwindet so schnell, dass ich nicht einmal Zeit habe, mein Oberteil abzustreifen, bevor sich auch schon meine Flügel herausschieben und den Stoff mit einem furchtbaren Geräusch zerreißen, das dem hastigen Strecken und Knacken meiner Knochen ähnelt.
Mein verletzter Flügel bebt und hängt schlaff herunter. Er sieht aus, als wäre er gebrochen. Als hätte man ihn bereits gestutzt. Meine Lippen verziehen sich zu einem freudlosen Lächeln. Wen interessiert’s. Er wird sowieso gleich zermalmt werden.
Trotz allem ist das wahrscheinlich die schnellste Verwandlung, die ich jemals hingelegt habe. Wut und Furcht beschleunigen sie und lassen mich gleichzeitig erzittern. Wut über Severins Macht. Und Furcht vor dem, was ich gleich werde ertragen müssen. Das alles hinterlässt einen bitteren Geschmack in meinem Mund.
Zum Glück werde ich an beiden Armen festgehalten – sonst würde ich wahrscheinlich das Gleichgewicht verlieren und von dem Block fallen.
Todesangst flutet in heißen Wellen durch meinen Körper. Ich kann jetzt nichts anderes tun, als das zu spüren. Das zu durchleben. Durchzuhalten …
Jemand bringt das Schneidewerkzeug auf die Bühne und dieser Anblick lässt mich alles andere vergessen. Langsam kommen die funkelnden Klingen näher. Sie sehen aus wie eine riesige Heckenschere … mehr als schmerzhaft.
Die Menge tobt jetzt in einer Mischung aus Jubelschreien und Protestrufen. Zumindest glaube ich, dass ich ein paar protestierende Stimmen höre. Ich hoffe, dass nicht jeder der Anwesenden der Meinung ist, ich hätte eine solch harte Strafe verdient. Sie dürsten hoffentlich nicht alle nach meinem Blut.
Ich kann meine Schwester schreien und fluchen hören. Ich weiß, dass sie unendliche Qualen erleidet angesichts dessen, was hier gerade passiert.
Was gleich passieren wird.
Ich kann nicht anders. Ich rufe nach ihr, obwohl ich weiß, dass sie mir nicht helfen kann.
Niemand kann das.
Wieder und wieder schreit sie meinen Namen. Tränen laufen mir über die Wangen und verdampfen zischend auf meiner überhitzten Haut.
Dann erkenne ich in dem ganzen Irrsinn Cassians Gesicht, dessen tiefer, starker, lebhafter Blick auf mir ruht. Er befindet sich jetzt auf dem Podium, wo er eigentlich nichts zu suchen hat, und bahnt sich zwischen den Älteren hindurch einen Weg zu mir.
Dann fällt es mir wieder ein. Ich höre seine tiefe Stimme, die mir vor ein paar Wochen versprochen hat, dass er mich beschützen wird. Oder es zumindest versuchen wird. Denkt er etwa, dass er sein Versprechen jetzt noch halten kann? Es ist zu spät.
Er stellt sich dicht neben seinen Vater, bückt sich zu ihm hinunter, packt seinen Arm, der in einer wallenden Robe steckt, und redet hitzig auf ihn ein. Seine Lippen bewegen sich wie im Zeitraffer und seine olivfarbenen Wangen färben sich ganz rot, während er wild gestikuliert und auf mich zeigt.
Durch den Lärm kann ich nicht verstehen, was er sagt, aber ich sehe, dass Severin ihm zuhört … und dann wieder mich ansieht. Nachdenklich, abwägend.
Ich schreie auf, als ich gezwungen werde, mich umzudrehen und dem Rudel den Rücken zuzuwenden. Mein Blick schießt wild im Raum umher und ich sehe nichts als die große Flügeltür am Eingang zum Bürgersaal.
Das war’s dann also.
Hände packen mich grob an den Flügeln und ziehen die hauchdünne Membran straff. Mein verletzter Flügel tut dabei so weh, dass mir die Luft wegbleibt.
Ich presse die Lippen aufeinander und Dampf dringt aus meinen Nasenlöchern. Fremde Finger piken und stochern an meinen Flügeln herum und sind auf der Suche nach der besten Stelle für den Schnitt. Ärger keimt in mir auf. Ich fühle mich regelrecht vergewaltigt durch diese rabiate Behandlung.
Instinktiv steigt Feuer in meiner Kehle hoch … Ich will mich verteidigen, will mich schützen. Ich beiße mir auf die Lippen, bis ich den Geschmack von Blut auf meinen Zähnen spüre. Kupfrig süß vermischt er sich mit dem Geschmack von Kohle und Asche.
Eine harte Hand drückt meinen Kopf nach unten, bis mein Kinn meine Brust berührt. Diese Haltung zwingt mich, einen Katzenbuckel zu machen. Meine
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