Firelight 3 - Leuchtendes Herz (German Edition)
versehentlich einen von Cassians wuchtigen Schlägen abbekomme.
Als Cassian sich kurz zu mir umdreht, winke ich ihm zu. »Was hast du vor? Willst du etwa einen Tunnel graben?«
Er wirft mir einen schnellen wütenden Blick zu und schlägt weiter auf die Wand ein. Erde und lose Felsstückchen fliegen durch die Luft. Ein scharfkantiges Steinchen trifft mich an der Wange. Ich lege die Hand auf die Stelle und schaue ungläubig auf die Betonwand, die in diesem Moment nachgibt und zu Boden kracht. Dahinter kommt dicht gepackte dunkelbraune Erde zum Vorschein, die nach Lehm riecht.
»Ganz genau«, antwortet er bissig, ohne von seiner Tätigkeit aufzusehen.
Und auf einmal wird mir klar, dass er es ernst meint.
Der Sprühnebel sinkt jetzt tiefer auf uns herab.
Die Ersten in unserer Gruppe kämpfen mit Hustenanfällen. Ich wedle vor meiner Nase herum, was natürlich die Wirkung des Rauches nicht mindern kann. Und wir wissen immer noch nicht, welche Wirkung das genau sein wird.
»Wie soll das gehen?«, fragt Tamra. Besorgt presst sie die Hände vor ihrer Brust aneinander und scheint zu hoffen, dass uns Gebete irgendwie weiterhelfen können.
»Wenn jemand es schafft, von hier auszubrechen, dann Cassian«, entgegnet Miram. Ihre Angst ist verschwunden und an ihre Stelle ist vollkommenes Vertrauen in die Fähigkeiten ihres Bruders getreten, der ihrer Meinung nach anscheinend für alles eine Lösung findet. Ich verdrehe die Augen und widerstehe der Versuchung, ihr bissig zu antworten, dass noch nicht einmal Cassian uns jetzt einen Weg in die Freiheit bahnen kann. Wir befinden uns viel zu tief unter der Erde.
»Ich kann uns hier rausbringen«, sagt Will leise. Er blickt uns alle konzentriert an. Offensichtlich kann er sich zusammenreimen, worüber wir gesprochen haben. »Ich weiß, dass ich das kann.«
Der Nachdruck in seiner Stimme lässt Cassian zögern. Er zieht seine Faust zurück und dickflüssiges Blut tropft von seinen geschundenen Knöcheln hinunter auf den Fliesenboden.
»Will«, murmle ich, und obwohl sein Name in Drakisprache anders klingt und eher einem Knurren als normaler Menschensprache ähnelt, dreht er sich zu mir um. Ein Blick in seine Augen genügt und ich weiß Bescheid. Ich weiß, was er meint. Ich erinnere mich daran, wie er in dem Kampf mit Corbin seine Macht über die Erde eindrucksvoll bewiesen hat. Er hat sie verschoben und durch die Luft fliegen lassen, ganz nach Belieben.
»Bleibt alle zurück!«, befiehlt Will.
Überraschenderweise gehorcht auch Cassian ihm und gesellt sich zu unserer Gruppe.
Wir sehen ihm alle zu und versuchen dabei, flach zu atmen, um so wenig wie möglich von der immer trüber werdenden Luft in unsere Lungen zu bekommen.
Will stellt sich vor die kaputte Wand. Miram fängt an zu keuchen und bedeckt ihren Mund mit beiden Händen. Bald tut Lia es ihr gleich. Das Geräusch ihres Hustens steigert die Anspannung noch zusätzlich und zeigt, dass wir unbedingt so schnell wie möglich hier rausmüssen. Mitfühlend zucke ich zusammen, als Cassian Miram in die Arme nimmt. Was, wenn wir uns geirrt haben? Was, wenn dieses Gas doch tödlich ist?
Will streckt beide Hände vor sich in die Luft und konzentriert sich auf die Wand. Ich starre auf seine breiten Handflächen und wünsche mir sehnlichst, dass sie immer noch dieselbe Kraft besitzen wie damals bei der Auseinandersetzung mit Corbin. Wills Hände beginnen zu zittern, aber es passiert nichts. Die freigelegte Wand macht keinerlei Anstalten, sich zu bewegen.
Cassian grunzt verächtlich.
Ich schüttle den Kopf. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Ein Wunder? Dass er vielleicht noch eine andere Gabe hat? Etwas, wozu nicht einmal die Erddraki meines Rudels in der Lage sind? Lächerlich. Das hier ist nicht wie in meinem Traum, wo ihm einfach Flügel wachsen und er mit mir in die Lüfte steigen kann.
Dann ist plötzlich ein ohrenbetäubend lautes Krachen zu hören. Eine riesige Rauchwolke wabert in den Flur und raubt mir die Sicht. Einen Augenblick lang glaube ich, dass plötzlich noch mehr Gas aus den Rohren über uns strömt. Das war es dann also mit einem langsamen und schleichenden Tod.
Doch schlagartig wird mir klar, dass das nicht einfach alles nur Rauch ist. Es sind auch Splitter dabei. Staub und abgeplatzte Betonstückchen bedecken jeden Zentimeter meiner Haut und reizen meine Augen.
Blinzelnd blicke ich zurück zu der Wand und mir bleibt fast die Luft weg, als ich bemerke, dass nicht nur die Erdmauer verschwunden ist
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