Firkin 04 - Hundstage
nichts vergessen«, krächzte er und zuckte zusammen, als er sich in den Daumen schnitt. Dann warf er die letzte Molluske auf den Grill und versiegelte seine Erinnerungen.
Der Rönthextisch verdunkelte sich.
STELLDICHEIN MIT GESCHREI
Rosettchen Putschino hatte gelogen. Sie log jeden Tag um halb eins, wenn sie sich einen neuen Scheingrund ausdachte, um das Haus für ein paar heimliche Wonnestunden mit ihrem Schatz Rhomyoh zu verlassen. Sie tischte natürlich jeden Tag eine andere Lüge auf: Sie müsse mal eben zum Markt oder für ein Kleid maßnehmen lassen, das sie auf dem nächsten Ball tragen wolle. Endlose Ausreden, die sich eine liebeskranke Jungfer ausdachte. Sie sollten dazu dienen, ein ehrenhaftes unschuldiges nachmittägliches Stelldichein zu tarnen.
Sie saß auf ›ihrem‹ Hügelchen am Fuß des Tortellini, auf einer winzigen Lichtung, die man von der plumpen Masse Cranachans nicht einsehen konnte, und riß einem unschuldigen Gänseblümchen die Blätter aus. Als sie bei »Er liebt mich« ankam und nur noch drei Blätter übrig waren, keuchte sie in abergläubischem Schreck auf, warf einen verstohlenen Blick über ihre Schulter, um zu sehen, ob ihr jemand zuschaute, riß die beiden nächsten in einem Ratsch ab und endete mit einem freudig schmachtenden Seufzer. Komisch, daß die Gänseblümchen einem immer das bestätigten, was man ohnehin schon wußte.
Sie mochte diesen Ort, denn er wimmelte von Mythen und Geschichten aus uralter Zeit, in denen in den Höhlen hinter ihr Trolle, Drachen und Zwerge gelebt hatten und unterirdische Geräusche geheimnisvoll rumpelten. Ihre Phantasie trippelte heiter über die Wiesen der Vorstellung, und sie sah natürlich nicht im geringsten die Köpfe der acht roten Rosen, die sich zu ihr umdrehten und sie angafften.
Als sie im Efeu am Fundament des aufragenden Gesteins ein Rascheln und vorsichtig näherkommende Schritte vernahm, schaute sie sich heimlich um, um nachzusehen, ob man sie etwa verfolgte. Rosettchen, Tochter des Chefs der cranachischen ›Familie‹, unterdrückte ein kokettes Kichern, als Rhomyoh näher kam. Ihre Phantasie kleidete ihn in eine strahlende Rüstung, und ihre Lider flackerten in einem Ansturm der Erwartung. Aus einer Laune heraus pflückte sie eine Handvoll Gänseblümchen und steckte sie in ihr rabenschwarzes Haar.
»O Rhomyoh, Rhomyoh!« blökte sie. Drei weitere Rosen stierten sie an.
»Rosettchen!« rief er aus und jagte mit einem einzigen Sprung den Stein hinauf.
»O Rhomyoh!« flötete sie, die Augen geschlossen, das Haar flatternd, wartend … sich sehnend nach einem Zustand fieberhaften, grenzenlosen Stelldicheins. Schon spürte sie das Zentimeter entfernte Schlagen seines Herzens, spürte seinen zarten Hauch auf ihren Wangen, seine sich nähernden Lippen. Sie spitzte die Lippen und beugte sich vor, um ihren Hals zu entblößen. Dann kreischte er auf und ergriff die Flucht.
Durch das Krachen des Unterholzes konnte man ein ständig wiederholtes Wort vernehmen: »Drache!«
Rosettchen fauchte. »Komm her! Sag das noch mal! Du bist schließlich auch kein Engel! Such dir lieber ein gutes Versteck, denn wenn ich dich finde …«
Der dünnste aller Zweige knackte hinter ihr und schnitt ihren Zorn verächtlich ab. Sie fuhr herum und sah sich Auge in Kniescheibe der aufragenden Ausdehnung eines leguangrünen Drachen gegenüber.
Eine bedrohliche Rauchwolke puffte aus seinem linken Nasenloch, als er auf sie hinablächelte.
Und sofort eilte sie hinter dem fliehenden Rhomyoh her.
Erwartungsvolle Stille hing über der gesamten Höhle. Seit das letzte Bild der präkambrischen Magier in den letzten Blizzards der Wirbelwindstörungen untergegangen war, hatte noch niemand ein Wort geäußert.
»Möchte jemand etwas sagen?« fragte Practz.
»Bei dem schlampigen Schnitt wird’s kein Kassenhit«, brummte Rutger. »Außerdem interessieren Tragödien heutzutage kein Schwein mehr!«
»Ich glaube, ich muß mal auf die Toilette«, jammerte Techniker Wat und schlurfte hinaus.
»Vorschläge?« drängte Practz.
Im Finsteren erscholl ein Gemurmel, das ihm aber nicht sonderlich weiterhalf.
»Was war das alles?« rief er. »Was hat das Ende eines prähistorischen Krieges mit allem anderen zu tun? Und vor allem mit uns?«
»Thaumafere«, sagte Phlim mehr oder weniger vor sich hin.
»Wie bitte?« rief Practz und stürzte sich auf die erste echte Antwort, so wacklig sie auch war.
Phlim schaute von dem Gekritzel auf seinem Pergamentblock
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