Firkin 05 - Fahrenheit 666
den Vorsitz bei der ›Wahl‹ zum Oberleichenbestatter von Mortropolis zu führen?
Jedenfalls würde es dieses Mal eine ganze Menge kosten, um ihn zu einer Entscheidung zu bewegen.
Er stand schnell auf, stieß zwei gewaltige Granittüren auf und stampfte nach draußen in den Garten. Während er über die mit Marmor ausgelegten Wege stolzierte, die sich durch die weit ausgedehnten Flächen gestutzter Zierflechten schlängelten, ging das Echo seiner Schritte in ein regelmäßiges Knirschen über. Die vor Hitze und Bösartigkeit brodelnde Atmosphäre von Helian über seinen gekrönten Hörnern betonte die zerbrechliche Unschuld einer Gruppe Stiefmütterchenzungen und rotglühender Feuerhakenrosen, die unter einem riesigen, kühlenden Ventilator flatterten.
Mit einem gewaltigen Huftritt stieß er die Tür zu den Ställen auf, stampfte hinein und wurde von einem ohrenbetäubenden Gebrüll der Zuneigung begrüßt.
»Los, aufsatteln! Hopphopp!« befahl d’Abaloh dem Stallteufel und wandte sich dann liebevoll der brüllenden Kreatur in der Stallbox zu, die aufgeregt mit ihren zehn Meter langen Flügeln schlug und dabei haufenweise Flechtenstreu aufwirbelte. D’Abaloh tätschelte der Daktylusstute die gehörnte Nase, hielt ihr beiläufig einige Stückchen Kohle-Leckerbissen vor die Nüstern und ließ sie mit einer schwungvollen Bewegung auf Harpyies dampfende, feuerrote Zunge fallen. Die Daktylusstute wedelte freudig mit den beiden Schwänzen und riß dabei einige lose Steine aus der Mauer.
Grunzend kämpfte sich der Stallteufel unter einem Haufen Riemen, Schnallen und Steigbügeln aus der Sattelkammer hervor und schwankte unsicher in Harpyies Richtung. Die Bestie brüllte fröhlich, als sie den Sattel erkannte, denn sie wußte sofort, was das zu bedeuten hatte. Der letzte Ausritt war schon eine ganze Weile hergewesen. Viel zu lange. Erst recht an solch einem herrlichen Tag – klarer, schwarzer Himmel, soweit das Auge reichte.
In der Zeit, die der Stallteufel benötigte, um Harpyie aufzusatteln, verschlang das geflügelte Ungeheuer einen ganzen Eimer Kohle-Leckerbissen. Dann hielt d’Abaloh die Daktylusstute mit einer Klaue an den Zügeln fest, griff mit der anderen nach einem großen Hebel und öffnete die riesige Dachluke. Harpyie wieherte aufgeregt, als sie das rot-schwarze Miasma über sich erblickte, denn sie sehnte sich danach, endlich wieder Feuer und Schwefel unter den Flügeln zu spüren.
Die Luke sprang auf und verankerte sich von selbst in der Halterung. D’Abaloh kletterte auf Harpyies vorgestrecktes Bein, sprang mit einem Satz in den Sattel und überprüfte, ob sich sein Schwanz nicht versehentlich in den Steigbügeln verheddert hatte. Und dann schwang sich Harpyie mit der Gewandtheit und der Grazie eines Nashorns beim Pas de deux in die Luft. Zehn Meter lange Flügel schlugen nach unten und wirbelten überall Flechtenspreu auf, bevor die sechs Beine der Daktylusstute vom Stallboden abhoben.
Mit fünf gewaltigen Flügelschlägen hob sie sich aus dem Dach empor, machte einen Schwenk und steuerte auf Mortropolis zu.
Als stünden sie in direkter Konkurrenz zu dem Rauch, der unaufhörlich von den Schornsteinen des Zentaur-Vergnügungsparks ausgestoßen wurde, hielten die laut gebrüllten Befehle sowie das Hämmern, Knallen und Sägen seit Stunden ununterbrochen an. Hin und wieder wurde eine der massiven Türen der satanischen Fabriken aufgezogen, aus der dann eine hektische Gestalt einen Blitzangriff auf einen der außerhalb der Sicherheitszäune stehenden Wagen unternahm, um sich irgendwelche Sachen davon herunterzuschnappen, deren Funktionen man nur erraten konnte. Innerhalb der letzten drei Stunden waren vier Handwagen, ein Wasserrad, fünf Dutzend der stabilsten Fässer aus dem Rinnstein und eine sehr große Badewanne drinnen verschwunden, um mit Freudengeschrei und einer erneuten Kakophonie aus lautem Hämmern, Knallen, Sägen und gebrüllten Befehlen begrüßt zu werden.
Aber das war nicht das einzige, was geschah. In ganz Cranachan hatte es sich nämlich längst herumgesprochen, daß es sich bei den unzähligen Talern, die von der Lohnabteilung des Zentaur-Vergnügungsparks herausgegeben worden waren, um alles Mögliche, aber ganz bestimmt nicht um ein gesetzliches Zahlungsmittel handelte. In diesem Augenblick versammelte sich eine große Menschenmenge von äußerst verärgerten Cranachanern am Zaun, und die schweißtriefenden Menschen warfen je nach Laune mit Steinen oder gaben wüste
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