First Night - Der Vertrag (German Edition)
genug Gewinn, um sich modernere Erfassungsgeräte und Abrechnungsmethoden leisten zu können.
„Danke, du bist ein Schatz.“
Sie drückte Debby den üblichen schwesterlichen Kuss auf die Wange und nickte deren neuem Freund zu, dann ging sie hinüber zu dem Tisch in der anderen Ecke. Eigentlich war es eine Nische mit einem Zwei-Personen-Tisch, die Vittorio immer Camera obscura nannte, weil sie ziemlich dunkel war und abgeschieden lag und sehr gerne von Frischverliebten besetzt wurde.
Es saßen zwei Schwule in der Nische. Ein langer, dünner Spargel und ein kleiner, dicker Kürbis. Beide bunt gekleidet, auffällig geschmückt und bizarr frisiert. Aber sie schienen selig und nichtsdestoweniger frisch verliebt zu sein. Julia mochte schwule Männer, sie waren feinsi nnig, freundlich und baggerten sie nie an. Sie kannte die beiden auch, nicht dem Namen nach, aber vom Sehen her, sie kamen häufiger ins Vittorios und wenn sie es recht überlegte, hatten die beiden sich vermutlich hier sogar kennengelernt. Zuerst war immer nur Spargel da gewesen und dann war irgendwann mal Kürbis aufgetaucht und ein paar Wochen später waren beide zusammen aufgetaucht.
Vielleicht feierten sie ein Liebes-Jubiläum.
Sie bestellten Prosecco und himmelten sich an, als wäre ihre Welt rosa und ihre Herzen nicht groß genug, um das Glück zu fassen. Julia konnte nichts gegen eine heftige romantische Aufwallung tun, die sich wohlig warm anfühlte. Sie mochte die Idee einer großen, ewigen Liebe. In der Theorie zumindest. Sie glaubte nur nicht, dass das wirkliche Leben so etwas für sie bereithielt, oder für irgendjemanden wie sie.
Als Vittorio das Restaurant schloss, waren Spargel und Kürbis die letzten Gäste. Julia schloss hinter ihnen zu und saugte noch schnell durch. Dabei fühlte sie eine herbe Enttäuschung über das magere Trin kgeld an diesem Abend. Normalerweise waren der Freitag und der Samstag ihre besten Tage und das Trinkgeld machte bei ihr oft mehr aus als das, was Vittorio als Stundenlohn bezahlte. Heute Abend hatte sie sich vier Stunden um die Ohren geschlagen und nicht einmal zehn Euro bekommen.
Dabei brauchte Benni noch neue Schuhe für den Sportunterricht – seine Füße wuchsen so schnell, dass man dabei zuschauen konnte, und außerdem wollte er unbedingt ein teures New York-Basecap haben und schließlich konnte sie nicht immer Tante Heike anbetteln. Das war ihr schon peinlich gewesen, als es um die Finanzierung von Bennis Schulranzen gegangen war.
„Du kannst gehen, zu deinem Bambino, ich mache hier fertig!“, sagte Vittorio und tätschelte ihr die Schulter. Der alte Schwerenöter würde sicher auch noch mehr tätscheln, wenn sie sich nicht wehren würde. Aber das hatte sie nach seinem ersten Versuch klargestellt: Sie würde den Job sofort hinschmeißen, wenn er anfing, sie zu begrabschen. Offenbar war ihm eine attraktive Kellnerin li eber als ein paarmal Arschgrabschen.
Julia zog ihre beiden Pullis über, nahm die dicke Jacke, stopfte ihren Pferdeschwanz unter die gelbe Mütze und machte sich schleunigst auf den Heimweg. Aus irgendeinem verdammt verrückten Grund wollte sie unbedingt noch an ihren PC und ihre Mails abrufen. Von Vittorio bis zu ihr nach Hause waren es zwei U-Bahn-Stationen und um diese Uhrzeit war die U-Bahn meist noch rappelvoll, sie brauchte also keine Angst zu haben. Aber sie war noch keine fünfzig Meter weit gegangen, da hörte sie die Stimmen von Kürbis und Spargel. Einer rief „Hilfe!“ und der andere rief „Nein!“.
Die beiden steckten eindeutig in Schwierigkeiten, denn sie wurden von drei Neonazis belästigt, die sie als dreckige Schwuchteln und Tunten b eschimpften und die beiden zwischen ihrem kleinen Zirkel ständig hin- und herschubsten.
Julia konnte zwar Taekwondo, aber sie hatte noch nie in einem echten Kampf gekämpft und sie war definitiv noch nie gegen drei Gegner auf einmal angetreten. Es war wohl eher Wahnsinn als gesunder Menschenver stand, der sie veranlasste, trotzdem auf die Gruppe zuzulaufen und zu brüllen:
„Hey , lasst die beiden in Ruhe oder ich rufe die Polizei!“
Zum Beweis, dass sie es ernst meinte, zückte sie ihr Handy. Die Frage war, würden die drei Skinheads sich dadurch abschrecken lassen? Wenn nämlich nicht, dann würde ihr Mut gar nichts nützen. Bis die Polizei sich hierherbemühte, konnte sie schon längst niederg estochen worden sein.
Zwei der drei Neonazis schienen tatsächlich beeindruckt zu sein. Sie ließen Kürbis und Spargel sofort in
Weitere Kostenlose Bücher