sagte, man hätte ihn wohl im Austausch gegen zwei eigene Leute ziehen lassen.“
Silvio nickte. „Ich bin nicht mehr im Geschäft, Küken, aber das scheint ta tsächlich die naheliegendste Erklärung zu sein.“
„Und wenn er wieder in Deutschland auftaucht, fängt der BND das gleiche Spiel wieder von vorne an?“
Silvio wiegte den Kopf hin und her und griff nun doch nach dem Kaffee.
„Er wird sich so schnell nicht mehr hier zeigen. Zunächst mal ist er selbst ziemlich schwer verletzt worden und braucht Zeit, um wieder auf die Beine zu kommen, und zum anderen muss er sich für eine gewisse Zeit bedeckt halten. Wir nennen das in der Fac hsprache ein Low Profile.“
„Ich will wissen, wo er ist, und ich will es wissen, sobald er seinen Fuß über die deutsche Grenze setzt.“
Silvio schüttelte lachend den Kopf: „Ich schwöre dir, genau diesen Satz hat dein Ehemann schon am Tag von Morosows Auslieferung zu Eric und zu seinen beiden neuen Bodyguards gesagt. Unterschätze niemals Thomas Mahler. Morosow tut keinen Schritt, von dem Mahler nicht erfährt.“
„Er sagt immer nur, ich soll mir keine Sorgen machen.“
„Dann mach dir keine! Denk an die Prinzessin dadrin in deinem Bauch und vergiss Morosow.“ Er konnte nichts dagegen tun, plötzlich lagen seine beiden Hände auf ihrem kugelrunden, harten Bauch. „Au Mann, die tritt ja nach mir!“
Sein Gesicht leuchtete selig. Julia kannte den Gesichtsausdruck von Thomas, wenn er sie in den Armen hielt und seine Hände manchmal einen ganzen Abend lang nicht mehr von ihrem Bauch nahm.
Plötzlich schien sogar Silvio die Intimität der Geste zu peinlich oder zu heftig zu sein und er riss seine Hände hoch und rollte einen halben Meter mit seinem Rollstuhl zurück. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und schaute wieder zur kahlen Zimmerdecke hinauf.
„Okay, ich kann ja mal ein bisschen recherchieren, wo Morosow abgebli eben ist!“, sagte er schließlich mit heiserer Stimme. „Ich habe sowieso nichts Besseres zu tun. Du willst mich nicht zufällig in Zungenküssen bezahlen?“
„Nein!“ Sie grinste aber übers ganze Gesicht.
„Ich musste es versuchen.“
„Eines Tages wirst du der richtigen Frau begegnen.“
In dem Moment klingelte es an der Wohnungstür Sturm und Cindy schlürfte meckernd aus der Küche in den Flur.
„Silvio!“, rief sie mit schriller Stimme. „Da is’ schon wieder so ’ne Etepetete-Tussi … autsch! He! Hackt’s oder was?“
Drei Sekunden später stürmte Kaylin ins Zimmer und blieb wie angewurzelt stehen, während sie die Szene in sich aufnahm. Extrem attraktiver Rollstuhlfahrer mit Kaffeetasse in der Hand und völlig unversehrte und lächelnde Frau Mahler mit Teetasse in der Hand.
„Frau Mahler!“, japste Kaylin, ohne ihren entsetzten Blick von Silvio abz uwenden. „Sie können nicht einfach wegfahren und niemandem Bescheid sagen, wo Sie sind! Zum Glück hat Benni gelauscht.“
Julia lächelte und schlürfte an ihrem Tee und blickte fasziniert zwischen Silvio und Kaylin hin und her.
„Kaylin, darf ich vorstellen? Das ist Silvio Seidlitz, ehemaliger Mitarbeiter der Familie Mahler und ein guter Freund von mir, auch wenn er’s selbst nicht glaubt, und Silvio, das ist Kaylin Rohwasser, meine Kung-Fu-Lady. Ihre Mama stammt aus Shenzhen und ihr Vater aus Berlin und sie wohnt bei uns, in Erics ehemaligem Zimmer, und kann kochen wie Bocuse und sie liebt American Football.“
Silvio sagte gar nichts und starrte Kaylin mit großen Augen an und Kaylin sagte noch weniger und starrte mit noch größeren Augen zurück.
Irgendwann schließlich richtete sich Silvio mit einem verlegenen Räuspern in seinem Rollstuhl auf und war dadurch gleich noch mal zehn Zentimeter größer und dann streckte er die Hand zum Gruß aus und grummelte ein halblautes „Hi!“.
Kaylin e rgriff seine Hand und sagte auch „Hi!“.
Und die beiden hielten endlos lange ihre Hände fest und starrten sich gegenseitig an und Julia legte die Hände auf ihren Bauch und schmunzelte.
Ende
Über Clannon Miller
Clannon Miller lebt weit entfernt von ihrer Heimat mit ihrer Familie in Berlin. Sie schreibt Geschichten, seit sie einen Bleistift halten kann, und nimmt ihre Tastatur bestimmt mit ins Grab – eines fernen Tages hoffentlich.
Bis dahin, macht euch noch auf viele Geschichten gefasst – manche davon sind wahrer, als man denkt, andere sind nur wilde Ausgeburten ihrer Phantasie.
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