First Night - Der Vertrag (German Edition)
Ruhe und nahmen die typische Fluchtha ltung ein, nur Nummer drei war offenbar ein gefrusteter und streitsüchtiger Zeitgenosse, der für sein kleines Gehirn einen viel zu großen und kräftigen Körper bekommen hatte. Er wandte sich ihr zu und spottete:
„Ey, du dumme Kuh! Warum hast du so ne scheißgelbe Mütze auf?“
„Damit niemand mich mit Rotkäppchen verwechselt!“ rief sie, nahm Anlauf und machte einen Sprung, auf den ihr Trainer stolz gewesen wäre. Sie traf den Kerl mit dem Fuß an der Brust, bevor der überhaupt begriffen hatte, was sie mit ihrer Antwort gemeint haben könnte. Er taumelte drei Schritte rückwärts, schrie auf, fiel hin und die anderen beiden fingen an zu laufen. Kürbis und Spargel waren immerhin geistesgegenwärtig genug und nahmen auch die Beine unter die Arme und rannten in Richtung U-Bahnhof.
Julia war über ihren eigenen Mut erschrocken und über den umwe rfenden Erfolg ihrer Aktion sogar noch mehr. Für eine Schrecksekunde lang starrte sie den Riesen an, der auf dem Boden saß und sich die Brust vor Schmerzen rieb, aber dann drehte sie auf dem Absatz um und rannte weg über die Straße und hinunter zur U-Bahn. Irgendwie hatte sie gehofft, die beiden schwulen Männer in der U-Bahn wiederzusehen. Nicht, dass sie ein Dankeschön erwartet hätte. Bestenfalls ein ganz kleines. Die beiden hatten ihr ja nicht einmal ein Trinkgeld gegeben.
Zu Hause angekommen, schaute sie schnell nach Benni. Der lag aber nicht in seinem, sondern in Julias Bett. Also nahm sie ihren Laptop mit in die Küche, setzte sich auf den wackeligen Klappstuhl, der ihr als Küchenstuhl diente, und nahm erst mal einen kräftigen Schluck Tequila, d irekt aus der Flasche. Nachdem das Nervenflattern, das ihr nächtliches Tête-à-tête mit einem Skinhead verursacht hatte, ein wenig nachließ, fuhr sie ihren PC hoch.
Da war eine Mail von Thomas!
Ihr Herz hüpfte vor Freude. Wie albern sie doch war, sich so darüber zu freuen. Dieser Thomas war ein onanierender Computerfreak, der nichts Besseres zu tun hatte, als einer Putzfrau Mails zu schreiben. Die Mail war erst vor fünf Minuten abgeschickt worden, also war er gerade online und sie lautete:
„Wie alt bist du?“
Sie antwortete sofort: „Dreiundzwanzig. Und du?“
Sie kannte die Antwort ja irgendwie schon. Wenn er der Compute rfreak aus der IT-Abteilung war, dann war er vermutlich Mitte oder Ende dreißig, aber irgendwie musste sie ja mit dem Kerl ins Gespräch kommen. Es vergingen ein paar Minuten ohne Antwort. Es konnte am Server liegen, der so langsam war, oder daran, dass ihn die Antwort schockiert hatte.
Sie zog sich in der Zwischenzeit aus, schlüpfte in ihr Schlaf-T-Shirt und putzte sich die Zähne. Letzteres hätte sie sich allerdings sparen kö nnen, denn kaum war sie wieder in der Küche und sah, dass eine Antwort von Thomas eingegangen war, nahm sie noch mal einen kräftigen Schluck aus der Tequilaflasche.
„Ich bin am Dienstag 40 geworden. Bist du hübsch?“
„Herzlichen Glückwunsch nachträglich! Nein!“, schrieb sie und wartete gespannt auf seine Reaktion.
Warum sollte sie schreiben, dass sie hübsch war? Zum einen klang es total eitel und zum anderen würde das dieser Mail-Beziehung eine Richtung geben, in die sie nicht gehen wol lte.
Thomas starrte auf das „Nein!“ und traute seinen Augen nicht. W arum gab sie das einfach so zu? Wie leicht wäre es gewesen, gerade im Internet, wo alles erlaubt war, wo jeder jeden beschwindelte, einfach zu behaupten, sie sei so schön wie der Morgen, mit dicken Brüsten und schmalen Hüften. Die Welt war doch voll von Filmen und Romanen, in denen sich Internetbekanntschaften gegenseitig belogen und sich mit falschen Fotos in die Falle lockten.
„Willst du wissen, wie ich aussehe?“, fragte er.
„Nein, es ist mir gleichgültig, wie du aussiehst. Du hast eine sehr warme, angenehme Stimme.“
Hatte schon jemals jemand etwas über seine Stimme gesagt? Über sein Geld, ja, seine Anzüge, seine Krawattennadel, seine Uhr, ja, aber seine Sti mme? Die Frau machte ihn fertig. Er wollte mit ihr über Schweinekram rede, nicht irgendwelche naiven Komplimente einheimsen.
„Befriedigst du dich selbst?“, hackte er in die Tastatur, wütend und en tschlossen. Er lag in seinem Bett, hatte den Laptop auf den Knien und nichts an und wollte auf seine Kosten kommen.
„Manchmal“, schrieb sie, irgendwie schüchtern, sofern man das an einem geschriebenen Wort erkennen konnte. Seine Phantasie ging mit ihm
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