First Night - Der Vertrag (German Edition)
sich zu Debby setzte und sich mit ihr unterhielt. Sie kannte Debby vom Taekwondo und weil sie ebenfalls Juristin war, hatten sie sich miteinander angefreundet. Debby war eine ziemlich gute Freundin, auch wenn sie völlig unterschiedliche Lebensläufe und soziale Hintergründe hatten. Debby war eine hübsche Blondine mit einem akkuraten Pagenkopf, auf dem nicht ein einziges Haar in die falsche Richtung strebte. Sie stammte aus einem wohlhabenden Elternhaus. Ihre Eltern waren beide Akademiker und hatten ihrer Tochter auf dem Weg zur promovierten Juristin alle Wege geebnet. Debby war immer schick angezogen, trug wertvollen Schmuck und teure Kleider und war das perfekte Spiegelbild einer guten Erziehung und eines geordneten Elternhauses. Inzwischen war sie Staatsanwältin. Und ihr derzeitiger Freund schien auch aus dem juristischen Metier zu stammen. Er stellte sich als Andreas vor, aber Julia brauchte sich den Namen nicht zu merken. Debby würde nächste Woche schon wieder mit einem anderen Kerl auftauchen. Sie mochte sich nicht festlegen.
„Es ist gut, dass ich dich treffe!“, begrüßte Debby ihre Freundin. „Ich hätte dich sonst angerufen.“
„Gibt es was Neues?“, fragte Julia sofort. Wenn sich die beiden nicht im Sportstudio trafen, sondern Debby außer der Reihe anrief, dann bedeutete das, sie hatte etwas Neues über Maries Tod herausgefunden.
Niemand hatte sich direkt nach Maries Tod um das Offensichtliche gekümmert, nämlich darum, dass es eindeutig mehr als nur ein Selbstmord gewesen sein musste. Julia selbst war damals viel zu jung gewesen und ihre Eltern waren mit Vaters MS und ihrer eigenen Ehekrise sowie der Geburt des Enkelkindes und dem unerwarteten Tod der Tochter so beschäftigt gewesen, dass sie das Unglück als gegeben hinnahmen. Die Kripo hatte den Fall schon einen Tag später abgeschlossen. Tatsächlich hatte Julia erst durch Debby von der Aussage dieser Säuglingsschwester erfahren, die von dem älteren Herrn und dem Streit berichtete hatte und nicht einmal das hätte sie erfahren dürfen. Die Akte war seit sechseinhalb Jahren geschlossen und in der Registratur abgelegt, aber bei einem Glas Wein hatte Julia einmal von dem Selbstmord ihrer Schwester erzählt und auch von ihrem Verdacht, dass irgendein einflussreicher Politiker Bennis Vater sein könnte, und da hatte Debby angefangen, in der alten Akte zu recherchieren und dabei war sie auf die Aussage der Säuglingsschwester gestoßen.
Danach war in Julia der Entschluss gereift, herauszufinden wer Bennis Vater war, wie der Mann hieß, der Marie in den Tod getrieben hatte, und ihn büßen zu lassen.
„Dir ist schon klar, dass man niemanden dafür bestrafen kann, wenn er einen anderen Menschen in den Selbstmord treibt?“, hatte Debby ihr damals gesagt.
Als ob sie das nicht wüsste, sie war selbst Juristin – na ja, noch nicht ganz. Aber sie konnte herausfinden, wer Bennis Vater war, einen DNA-Test verlangen und den Mann auf Unterhalt verklagen. Und sollte sich herausstellen, dass der Drecksack ein bekannter Politiker war, dann konnte sie mit dem Fall an die Presse gehen und den Hundesohn fertigmachen.
„Das bringt zwei Probleme mit sich“, hatte Debby doziert. „Du wirst deinem Neffen irgendwann mal erklären müssen, warum du seinen V ater ruiniert hast.“
„Und das zweite Problem?“, fragte Julia gleichgültig. Sie hatte sich mit dem Gedanken längst auseinandergesetzt, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass Benni es ihr verübeln würde, wenn sie den Mann, der sich nicht um ihn kümmerte, zur Rechenschaft zog. Er hatte schließlich nichts we iter für ihn getan, als sein Sperma zu spenden.
„Wenn der Mann wirklich so skrupellos ist, dass er deine Schwester in den Tod treiben konnte, wird er es nicht zulassen, dass eine kleine Anwältin o hne Geld und Einfluss ihn fertigmacht.“
„Nicht, wenn ich die Presse auf Herrn M inister Bachofer ansetze.“
„Wie kommst du drauf, dass ausgerechnet Bachofer Bennis Vater ist?“, fragte Debby verblüfft.
„Er hat Bennis Augen!“
Debby lachte. Sie war bei diesem Thema natürlich nicht so befangen wie J ulia und deshalb war sie eindeutig die bessere Analytikerin.
„Eine Million Männer haben Bennis Augen.“
Debby hatte recht und Julia ermahnte sich selbst zu mehr Objektivität. Sie würde den Schuldigen nicht finden, wenn sie sich von blinden Verdächtigungen oder spontanen Gefühlsregungen leiten ließe. Sie hatte begonnen, mit Debby eine Strategie zu entwickeln.
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