First Night - Der Vertrag (German Edition)
solche Angst. Ich habe am ganzen Leib gezittert und ich habe ihm gedroht, dass ich die Polizei rufe, wenn er nicht geht und da hat er mich ausg elacht und gesagt, dass er mich fertigmacht, wenn ich ihm Benni nicht gebe.“
„Wo ist Benni? Wo ist Benni jetzt?“, schrie Julia hysterisch ins Tel efon.
„Er ist hier bei uns, bei deinem Vater und mir. Aber ich hab solche Angst, wenn der schreckliche Mensch wiederkommt, dass er das Kind vor unseren A ugen entführt.“
„Tante Heike, du musst gleich die Polizei verständigen. Lass niema nden ins Haus. Verstehst du? Ich versuche, so schnell wie möglich zu kommen.“
„Ja, aber beeil dich, ich komme um vor Angst. Kannst du nicht einen von deinen Freunden aus dem Taekwondo-Club mitbringen?“
„Tante Heike ...“, Julia hatte das Gefühl, als würde sich eine kilometertiefe Spalte unter ihren Füßen auftun und sie würde in den Abgrund stürzen. „Ich bin in der Schweiz. Ich bin gerade in der Schweiz. Ich komme, so schnell es geht, aber es wird dennoch Stunden dauern. Bitte rufe sofort die Polizei an und schildere denen genau, was passiert ist.“
Nachdem sie die Verbindung unterbrochen hatte, holte sie tief Luft und sammelte all ihre Kräfte und dann sah sie Thomas an und versuchte, nicht zu heulen.
„Ich muss sofort nach Hause.“
„Das habe ich gehört.“
„Wir müssen unsere Nacht verschieben. Es tut mir wirklich sehr leid, dass du nicht … bitte bestehe nicht darauf, dass ich unseren Vertrag heute noch erfülle.“
„Hältst du mich für ein Arschloch?“, fragt e er pikiert, aber insgeheim gestand er sich ein, dass er ein Arschloch war. Weil er ernsthaft überlegte, wie sie reagieren würde, wenn er auf den Vertrag pochen und verlangen würde, dass sie dablieb. Er wollte nicht, dass alles jetzt schon zu Ende war. Verdammt noch mal, er wollte weitermachen, nicht irgendwann einmal, sondern jetzt. Aber natürlich brauchte sie das nicht zu wissen. Sie sollte ihn für einen Helden und nicht für einen Arsch halten.
„Was ist mit Benni?“
„Irgendein Verrückter hat es auf ihn abgesehen. Ich habe das nicht ganz verstanden, was er von Benni wollte, aber meine Tante ist kurz vor dem Durchdrehen. Irgendwie wird Benni bedroht, das denkt sie jedenfalls. Vielleicht ist es nur ein dummer Scherz oder eine Überreaktion von Tante Heike, aber ehrlich gesagt …“
Sie sprach den Satz nicht zu Ende, denn wenn sie laut aussprechen würde, was sie wirklich dachte, dann würde er sie vermutlich für eine paranoide Ziege halten. Trotzdem, sie konnte nichts gegen das furchtbare Gefühl tun, dass das vielleicht etwas mit dem Tod ihrer Schwester zu tun hatte und dass die gleichen Leute es jetzt auch auf Benni abgesehen hatten.
„Du denkst bestimmt, dass ich hysterisch bin und dass ich überreagi ere, aber ich … ich kann nicht hierbleiben.“
Er schnaubte verächtlich. Sie hatte keine Ahnung von hysterischen Frauen. Er hatte Frauen erlebt, die wegen eines abgebrochenen Finge rnagels schon weitaus hysterischer reagiert hatten. Julia verstand sein Schnauben völlig falsch:
„Bitte, Thomas, das ist keine blöde Ausrede, nur um hier wegzukommen. Wir holen alles nach und ich mache alles, was du willst! Falls du dann übe rhaupt noch Lust auf mich hast. Andernfalls gebe ich dir das Geld zurück, aber lass mich bitte gehen. Ich nehme den Zug. Gibt es einen Bahnhof hier?“
Alles nachholen und tun, was er wollte? Das war gut, sehr gut sogar. Aber Geld zurückgeben, das kam überhaupt nicht in Frage. Er packte sie grob an den Schultern, gröber als er es eigentlich beabsichtigt hatte, und starrte ihr in die A ugen.
„Du bist mit mir gekommen und du gehst mit mir zurück.“ Dann griff er zu seinem eigenen Handy und rief Brockmann an.
„Brockmann, versuchen Sie eine Starterlaubnis zu bekommen, so schnell wie möglich. Egal, was es kostet. Sonst müssen Sie ein Auto mieten und Julia zurück nach Berlin bringen.“
„War es etwa so schlimm?“ Brockmann klang nicht zynisch, sondern fa ssungslos.
„Irgendwas stimmt mit dem Jungen nicht. Sie muss sofort zurück.“
Julia hatte bereits angefangen, ihre Kleidung aufzusammeln und als sie sich bückte, stellte sie fest, wie wund sie war und dieses Gefühl von Brennen und Feuchtigkeit und plötzlicher Kälte machte ihr ihre Lage schlagartig und in aller Deutlichkeit bewusst: Sie trieb sich in der Schweiz herum, während irgendein Verrückter Benni bedrohte und wenn das Jugendamt erst einmal herausfand, wie sie ihrer
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