First Night - Der Vertrag (German Edition)
Haar waren, warum auch immer. Sie hoffte natürlich, dass sie das alles nicht brauchen würde für das G espräch mit Rektor Kühn, aber wenn es um Benni ging, dann war sie sich auch nicht zu schade für billige Tricks.
Herr Kühn war wirklich nett. Vor allem war er ziemlich jung für einen Grundschulrektor und ziemlich attraktiv. Er hatte einen süßen Lac hmund, braune Augen und ziemlich coole Koteletten.
Sie war sich nicht sicher, mit wem er im Gegenzug gerechnet hatte, s icher nicht mit einer jungen Studentin, die kaum größer war als seine Sechstklässlerinnen. Er wirkte ziemlich sprachlos am Anfang oder verlegen, das war schwer zu sagen. Er bot ihr Kaffee an, den sie dankend annahm – der Tag war noch lang –, dann bot er ihr einen Stuhl an und scharrte nervös in den Unterlagen auf seinem Schreibtisch herum. Er räusperte sich zig Male, bis er anfing zu sprechen. Sie war nicht eitel, aber sie wusste, dass sie attraktiv war. Genügend Kerle gaben ihr das jeden Abend auf mehr oder weniger geistreiche Art zu verstehen. Sie kannte nicht die Finessen der Verführung, aber sie wusste ziemlich genau, welche archetypischen weiblichen Merkmale und Verhaltensweisen bei einem Mann das Denkvermögen beeinträchtigen konnten.
„Ähm, Sie sind aber doch nicht … sind Sie Bennis Mutter?“
Er hatte sicher nachgerechnet.
Benni würde im Juni sieben werden und sie sah keinen Tag älter aus, als sie war – nämlich dreiundzwanzig – und dazu war sie noch sehr zierlich. Oft wurde sie im Kino oder beim Kauf von Alkohol sogar noch nach ihrem Persona lausweis gefragt.
„Nein, ich bin seine Tante. Meine Schwester, also Bennis Mutter, ist bei seiner Geburt gestorben.“
Genauer gesagt hatte sie sich zwei Tage nach der Geburt aus dem Fenster der Entbindungsstation gestürzt. Viertes Stockwerk. Sie war sofort tot gewesen. Die Klinik behauptete, es sei eine Wochenbettdepression gewesen. Julia glaubte es nicht.
Eine Säuglingsschwester hatte gesehen, dass Marie Besuch bekommen hatte von einem älteren Herrn, der eine Sonnenbrille trug und einen Sommerhut, tief ins Gesicht gezogen – wie ein Mafios o. Es hatte offenbar Streit zwischen den beiden gegeben, aber keiner hatte etwas Genaueres mitgekriegt. Der Kerl war wieder gegangen und kurz nach seinem Besuch hatte sich Marie aus dem Fenster gestürzt. Die Säuglingsschwester, die diese Geschichte der Kripo erzählt hatte, arbeitete eine Woche später schon nicht mehr in dem Krankenhaus. Was immer das für Wochenbettdepressionen gewesen sein sollten, Julia war sich sicher, dass da jemand kräftig nachgeholfen hatte.
Der Gedanke, dass sie „nur“ die Tante war, schien dem Rektor sehr zu behagen, er entspannte sich sichtlich und sagte mit einem echten Flirt-Lächeln:
„Nicht, dass ich Ihnen so ein süßes Kind nicht zugetraut hätte, aber sie wären dann ja doch in sehr jungen Jahren Mutter geworden.“
Er wollte wissen, wie alt sie war und Julia ließ sich durch die Tatsache, dass er Benni als „süß“ bezeichnet hatte, keineswegs einlullen. Sie würde das Flirtspiel mitspielen, soweit es für Benni notwendig und für sie sicher war.
„Ich war sechzehn, als meine Schwester starb. Zuerst hatten meine Eltern das Sorgerecht für Benni, aber dann ließen sie sich scheiden und meine Mutter zog nach Bayern zu ihrem neuen Freund, der selbst drei Kinder und vier Enkelkinder hat. Sie wollte Benni nicht mitnehmen. Na ja, und mein Vater ist leider nicht g esund. Er hat Multiple Sklerose.“
„Also haben Sie das Sorgerecht für Benni bekommen“, konstatierte der Rektor schlau.
Erbittert erkämpft wäre der bessere Ausdruck gewesen, aber Julia nickte nur und lächelte.
„Was sind Sie von Beruf, wenn ich fragen darf?“
Warum sollte er nicht fragen dürfen. Er war Bennis Rektor und wenn er der Meinung war, dass sie ihre Rolle als Vormund nicht gut genug erledigte, dann würde er diese Meinung dem Jugendamt mitteilen und das Jugendamt würde garantiert auf einen Grundschulrektor hören.
Sie erzählte ihm von ihrem Jurastudium, dass sie nach dem Sommers emester das erste Staatsexamen schreiben würde, dann den Vorbereitungsdienst anfangen würde. Dass sie Anwältin werden wollte und so weiter. Sie musste ihn beeindrucken mit ihrem Werdegang und ihm den Anschein vermitteln, dass sie taff, zäh und ehrgeizig war.
Er war offensichtlich sehr beeindruckt. Seine Augen glänzten sie an und er nickte eifrig bei allem, was sie sagte und als sie fertig war mit ihrem aufgemotzten
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