First Night - Der Vertrag (German Edition)
überzeugt, dass Julia Dietrich zwar sehr jung, aber auch sehr verantwortungsbewusst war und dass niemand sich besser um Benjamin kümmern konnte als sie.
Eigentlich ließ sie sich nicht gerne von Männern helfen. Weil die nie etwas Uneigennütziges taten, sondern immer eine Gegenleistung erwart eten. Und wie die Gegenleistung für eine Julia Dietrich – das Mädchen ohne Geld und Einfluss, aber mit großen Brüsten – aussah, das war ja wohl klar. Aber Professor Beier stand kurz vor der Pensionierung, hatte selbst eine Tochter in Julias Alter und er war definitiv uneigennützig gewesen. Sie hatte das Sorgerecht für Benni bekommen und Professor Beier hatte nie eine Gegenleistung von ihr verlangt.
Es gab auch nette Männer.
„Ich hab wirklich nichts gemacht“, beteuerte Benni noch mal.
„Ich ruf ihn an“, seufzte Julia und programmierte die Telefonnummer, die auf dem weißen Zettel stand, in ihr Handy. Sie stand auf und holte Bennis dicke Winterjacke von der Garderobe. Sie half ihm sie anzuziehen, obwohl er das auch sehr gut selbst konnte, aber er genoss es ziemlich, wenn sie ihn ein wenig bemutterte und verwöhnte. Dann drückte sie ihm einen fetten Kuss auf den Mund und dann klatschten sie sich ab, High five: Einmal Hände oben, einmal Hände unten und dann die Fäuste mit den Knöcheln zusammen.
„Und jetzt ab mit dir.“
Sein Schulweg war kurz und so ungefährlich, wie er in dieser Wohngegend eben sein konnte, aber es erstaunte Julia immer wieder, was für Ablenkungen ein Erstklässler auf einem Schulweg von 900 Metern finden konnte und wie lange er infolgedessen brauchte, um die paar Meter zurückzulegen.
„Viel Glück bei der Klausur, Jule!“
Sie strahlte ihn an. Sie brauchte kein Glück. Sie war fit, sie hatte gelernt und Staatsrecht war sowieso ihre Stärke. Hätte sie sich nicht fest vorgenommen, Strafverteidigerin zu werden, wäre ihr zweiter Lieblingsberuf Richterin am Bundesverfassungsgericht.
Die Klausur lief wie geschmiert, das Telefonat mit Rektor Kühn weit weniger. Er klang dringend und drängend, wollte ihr aber nicht sagen, worum es ging. Er müsse unbedingt mit ihr sprechen. Es ginge um essentielle Angelegenheiten Be nni betreffend, das konnte er unmöglich am Telefon mit ihr klären, am besten sie kam gleich heute noch im Rektorat vorbei.
„Hat er irgendein anderes Kind geschlagen?“, fragte Julia verzweifelt am Handy. Das war ihre größte Angst, dass Benni ausrastete, weil die anderen ihn hänselten. Benni war unglaublich groß und kräftig für sein Alter und wenn es zu Prügeleien kam, dann steckten die anderen Kinder blaue Augen und blutende Lippen ein und Benni nie. Das fanden die E ltern der betroffenen Blagen meist nicht besonders lustig und Julia lebte stets in der Angst, dass andere Eltern das Jugendamt einschalten könnten, weil Benni ihren Früchtchen die Zähne ausgeschlagen hatte.
„Nein, es ist nichts Derartiges. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin bis sechzehn Uhr im Rektorat, Frau Dietrich. Bitte nehmen Sie sich die Zeit für Ihren Sohn.“
Mehr war aus dem alten Sack nicht herauszubekommen. Oh Gott, Benni, was hatte er nur angerichtet?
***
„Wie hübsch muss ich mich anziehen für das Gespräch nachher?“, fragte sie Benni, nachdem er unwillig seine Hausaufgaben an dem kleinen wackeligen Küchentisch gemacht hatte. Übersetzt bedeutete das: Wie groß ist das Unheil, das du ausgefressen hast, und lässt es sich mit einem Minirock und einem engen Pulli wieder ausbügeln?
„Herr Kühn ist sehr nett“, sagte Benni nur und Julia beschloss, dass sie ihre enge Jeans und ihren schwarzen, engen Rollkragenpulli anziehen würde und das Haar würde sie offen tragen. Der Pferdeschwanz ließ sie streng und älter wirken, aber wenn sie ihr Haar offen trug, das war schon eine Sehenswürdigkeit. Es war lang, beinahe bis zum Hintern, und so voll, dass sie den Haargummi nicht zweimal um den Pferdeschwanz herumschlingen konnte. Es war leicht gewellt, dunkelbraun und ziemlich südländisch. Marie hatte genau dieselbe Haarpracht besessen und ihre Mutter hatte immer behauptet, das käme von irgendwelchen k atalanischen Vorfahren aus ihrer Familie.
Julia war es egal, woher sie das Haar hatte. Meist war es ein Ärgernis, weil es ewig dauerte, bis die Haare trocken waren, und Zeit kostete, bis sie frisiert waren, geflochten oder hochgesteckt oder sonst irgendwie adrett aussahen. Aber manchmal war es auch von Vorteil, weil die Männer ziemlich fixiert auf langes
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