Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
aufpassen. Vielleicht ist es sogar besser, wenn Tiziana jetzt nicht mit ins Restaurant will, vermutlich schämt sie sich mit mir. Ich werde ein paar Tage leiden, aber dafür bleibt mir das restliche Elend erspart, und ich könnte ein Rocker bleiben, dem das normale Leben am Arsch vorbeigeht. Ganz genau, ich werde ihr jetzt selbst sagen, dass ich keine Zeit habe, mit ihr essen zu gehen. Ich rufe meine Freunde an, und wir gehen zusammen ins Excalibur, da trinken wir ein paar Bier und rülpsen nach Lust und Laune. Dagegen ist nichts einzuwenden.
»Und wenn wir uns eine Pizza holen und sie hier essen, wär das okay für dich?«, schlägt Tiziana jetzt vor.
Mein Ja folgt auf der Stelle. »Wunderbar!« Fast ein Schrei. »Ja, ja, völlig okay, super Idee!«
Damit dürfte klar sein, dass ich mich aus eigener Kraft nicht retten und nur hoffen kann, dass Tiziana mich irgendwann zum Teufel jagt. Von allein werde ich es nie schaffen, hier wieder rauszukommen, ich bin wehrlos wie eine Dorade im Backofen, wie ein Spatz im Bombenhagel. Auf mich allein gestellt bin ich aufgeschmissen.
Wir haben also gegessen, und jetzt fläzen wir uns am Tisch.
Es ist einiges übrig geblieben. Ich hatte zwei Riesenpizzen gekauft und zwei Flaschen gekühlten Weißwein, dazu eine Schale Eis, sechs Portionen. Tiziana meinte immer wieder, das sei Verschwendung, aber das war mir egal. Wenn einer Geld hat, achtet er nicht auf so was.
Der Wein allerdings, der ist fast alle. Ich finde alles wahnsinnig komisch, egal, was ich sage oder sie, und auch wenn wir gar nichts sagen, muss ich lachen. Ich sehe das restliche Eis und lache, ich sehe die unförmige Schlabberhose ihrer Freundin Raffaella über der Stuhllehne und lache, ich schaue Tiziana in die Augen und lache, und sie lacht auch. Wir lachen alle beide.
Und dann erinnern wir uns an die Szene in der Eisdiele: ich mit einer fehlenden, sie mit einer verbundenen Hand, und weil sie schon die Pizzen trug und ich die Weinflaschen, hab ich mir für das Eis eine Plastiktüte geben lassen und sie mir um den Hals gehängt. Dem Eisverkäufer fielen fast die Augen aus dem Kopf. Die Tüte baumelte vor meiner Brust wie eine Kuhglocke. Und jetzt legen wir erst richtig los und können uns gar nicht mehr einkriegen vor Lachen.
Vielleicht ist es der unerwartete Geldsegen oder Tizianas hautenges T-Shirt, vielleicht ist es der Wein, der beim Lachen in meinem Magen rumschwappt, aber ich, Fiorenzo Marelli, Frontmann von Metal Devastation, fühle plötzlich etwas.
Und zwar genau das . Ich kannte es bisher nur aus dem Fernsehen, aus Erzählungen bedauernswerter Freunde oder von den Schnulzen, die auf jeder Hardrockscheibe drauf sind, meistens an achter Stelle. Diese Songs mit Akustikgitarre und einer samtweichen Stimme, wo einer eine im Schlaf betrachtet und ihr über die Haare streicht, sich an die Zeit erinnert, als sie zusammen waren, ihre Augen wie Sterne leuchteten und eine Flut von Gefühlen versprachen. Kurzum, diese superromantischen Stücke, die im Jargon Weichspüler heißen. Vor allem Frauen fahren voll darauf ab, auf diese Gefühlsduselei, die jetzt auch mich drangekriegt hat. Unglaublich, aber wahr.
Ich möchte gar nicht darüber sprechen, denn es macht mir Angst. Richtig Angst. Nicht die Zombie-Lieder machen mir Angst, und auch nicht die Songs über den atomaren Holocaust, der auf unserem Planeten Tabula rasa macht und nur die Kakerlaken und Biberratten verschont. Dieses Gefühl jetzt, das macht mir Angst, weil es eine reale Bedrohung darstellt. Mehrere meiner Freunde sind daran zugrunde gegangen. Sie waren total verliebt und verblödet, und ich dachte: Mann, wie bescheuert muss man sein, um so zu verkommen? Aber jetzt schaue ich die kichernde Tiziana an und fühle mich genauso hilflos wie meine Freunde.
Nein, nein, ich sage NEIN. Ich bin der Sänger von Metal Devastation, wir spielen Heavy Metal und haben’s voll drauf, und wenn wir es eines Tages schaffen, eine Platte zu machen, dann kommt da bestimmt kein rührseliger Song mit drauf. Nein, wir machen eine stahlharte Scheibe, und als achten Song nehmen wir einen, der noch mehr reinhaut als die anderen. Und deshalb muss ich jetzt hier weg, und zwar sofort, ich muss mich retten, bevor es zu spät ist.
Oder ist es vielleicht schon zu spät?
Ich spüre, wie mich die Verzweiflung an der Kehle packt, ich schaue Tiziana an, und Tiziana ist wunderbar, und ich spüre, dass ich es niemals schaffen werde, einfach so zu verschwinden. Und plötzlich ist mir klar,
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