Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
muss unbedingt Zeit gewinnen, und deshalb tu ich das, was wohl jeder in meiner Situation tun würde: Ich stelle mir die grauenvollsten Dinge des Universums vor.
Ich starre hoch zur Zimmerdecke auf einen schmalen Spalt im Putz und stelle mir die ekligen Insekten vor, die sich darin verstecken und nur darauf warten, auf mich runterzufallen. Riesige Tausendfüßler, haarige Spinnen und giftige Skorpione stürzen sich auf meinen nackten Körper und suchen nach der geeigneten Stelle, um mich zu töten. Und diese warme Nässe, die ich da unten spüre, sind nicht etwa Tizianas Lippen, nein, es ist die Schleimspur einer widerlich sabbernden schwarzen Nacktschnecke, die sich vom verfaulten Schädel irgendeiner verwesenden Leiche unterm Bett zu mir aufgemacht hat, um mein Hirn auszulutschen und …
Es nützt alles nichts, das Schlabbern der Nacktschnecke fühlt sich phantastisch an, sie kreist um die richtigen Stellen und erobert meine besten Teile, und tut sie das noch mal, nur noch ein einziges Mal, bin ich nicht mehr zu halten, das schwöre ich. Also schnelle ich hoch wie eine Feder und schiebe Tizianas Kopf weg.
»Was ist?«, fragt sie mit einer Stimme und einem Blick so dermaßen weggetreten, dass das allein schon ausgereicht hätte, um sofort zu kommen.
»Ich will in dich rein«, sage ich. Absurd, ich weiß, aber ich ahne, dass die Party dem Ende zugeht. Sie hat zwar gerade erst angefangen, trotzdem naht schon das große Finale, und ehe es zu spät ist, will ich richtigen Sex haben.
»Ja, aber … warte noch kurz.«
»Nein, nein, jetzt gleich.«
Wieder trifft mich Tizianas unbeschreiblicher Blick. Keine Ahnung, ob er Zustimmung ausdrückt oder nicht. Aber in diesem Moment etwas verstehen zu wollen ist genauso absurd, wie wenn man versucht, mitten im Bombenhagel einen Kaffee zu bestellen: Überall um dich herum sind verzweifelt schreiende Menschen auf der Flucht, denen die Haut in Fetzen vom Körper fällt, und du sitzt mitten in dieser Flammenhölle an einem Tischchen und fragst Wo bleibt denn nun mein Kaffee?
»Hast du zufällig was, Fiorenzo?«, will Tiziana wissen.
»Nein, nein, alles bestens, danke«, und erst Sekunden später dämmert mir, dass es Kondome sind, die ich haben sollte. Natürlich habe ich keine. Ich bin ein Idiot, wie soll ich da auch noch an Kondome denken.
»Du hast nicht zufällig welche hier?«, frage ich und weiß nicht, welche Antwort mir lieber wäre. Sagt Tiziana Nein , dann haben wir ein Problem, sagt sie Klar hab ich welche und nimmt aus einer Schublade eine ganze Schachtel heraus – keine Ahnung, ob ich das so gut finden würde.
Sie steht auf, und wie sie jetzt von oben zu mir runterschaut, die Arme an der Seite, nackt und im Halbdunkel, gerate ich gleich wieder in helle Aufregung: vor mir eine splitternackte Frau, mit der ich vielleicht gleich Sex haben werde oder es zumindest versuche. Der helle Wahnsinn! Was hat das zu bedeuten? Ist es ein Zeichen, dass der Weltuntergang bevorsteht, wie Giuliano sagt?
Sie merkt, wie ich sie anstarre, beugt sich vor und hält die Arme vor den Körper.
»Raffaella hat welche«, sagt sie. »Okay«, sage ich. Sie aber rührt sich nicht, schaut zur Tür, schaut mich an.
»Würdest du mitkommen?«
»Wohin denn?«
»Rüber zu ihr. Allein möchte ich nicht … also, mir wär’s lieber, du kommst mit.«
Boh, ich versteh nicht ganz, aber okay, ich springe auf und folge ihr in Raffaellas Zimmer, das eigenartigerweise nach Brot duftet und voll mit Gläsern ist, die … ach, scheißegal, wir sind nackt, wir finden die Kondome und kehren in Tizianas Zimmer zurück, alles andere kann mir so was von egal sein.
Sie reicht mir eines in einer schön glänzenden, viereckigen Verpackung. Zuerst will sie es in die rechte Hand nehmen, dann besinnt sie sich und benutzt die linke. Erst jetzt wird mir klar, dass Tiziana die ganze Zeit nur eine Hand benutzt. Während des langen Kusses und der heißen Verführung war ihre rechte Hand nicht im Spiel, sie hat also ihr Versprechen mit der Phantomhand gehalten. Was für eine Frau.
Jetzt sitzt sie am Bettrand und schaut mir zu, wie ich versuche, die Verpackung zu öffnen, aber es geht einfach nicht. Mir ist es in ihrer Anwesenheit nicht mal gelungen, eine DVD aus der Hülle zu holen, wie soll ich da jetzt dieses schlüpfrige Ding aufkriegen, das mir ständig aus der Hand rutscht.
Ich versuche es mit den Zähnen, ein-, zwei-, dreimal, aber auch so flutscht es mir dauernd weg. Ich werde wütend und zerreiße es
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