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Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Titel: Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Genovesi
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Turm von Pisa. Den kannten sie zwar schon, aber es ist immer wieder schön, auf der Wiese zu stehen und zu beobachten, wie sich die Japaner gegenseitig fotografieren und dabei so tun, als stützten sie den Turm. Das machen ausnahmslos alle Japaner, von den Mädchen mit den Hello-Kitty-Täschchen bis zu den Geschäftsleuten in Anzug und Krawatte. Du hast gesagt, wahrscheinlich werden sie von ihrer Regierung dazu gezwungen und müssen das Foto an der Grenze vorzeigen, damit man sie wieder ins Land lässt.
    Der Gedanke kam dir spontan, und alle haben gelacht. Petra, Cheryl, Pascal und sogar Andreas. Wie lange ist es eigentlich her, dass du einen intelligenten Gedanken geäußert hast? Sieben Monate mindestens, seit eurem letzten gemeinsamen Abend in Berlin.
    Sieben Monate sind eine lange Zeit. Du bist jetzt zweiunddreißig, und sieben Monate ohne geistige Anregung sind verlorene Zeit, eine Todsünde gegen dich selbst und deine Intelligenz. Denn intelligente Ideen können nur in einem intelligenten Umfeld entstehen. Kokosnüsse wachsen nun mal an Palmen. Oder hat man jemals eine Kokosnuss an einer Platane wachsen sehen? Genauso wenig kann ein in Muglione verbrachter Tag einen geistreichen Gedanken hervorbringen. Also, Tiziana, warum bist du dann wieder hierhergekommen?
    Du hast einen Master in Personalmanagement. Ein elitärer Studiengang, zu dem aus jedem europäischen Land jeweils nur ein Student zugelassen wurde. Aus Italien haben sie dich genommen, Tiziana Cosci. Dein Vater hat es sogar hinbekommen, dass im »Tirreno« ein Artikel über dich erschienen ist, und bei deiner Abreise kam das ganze Dorf zum Bahnhof. Sogar eine Musikkapelle aus dem Dorf spielte, großer Gott. Zum Glück fuhr der Zug irgendwann ab. Das Dorf blieb zurück und verblasste am Horizont, die Klänge von Fratelli d’Italia verhallten, und vor dir lagen die fünf besten Jahre deines Lebens.
    Du hast dir mit Cheryl, einer Amerikanerin, und Akiko, einer Japanerin, eine Wohnung geteilt, die von der Universität bezahlt wurde. Monatelang aufregende Affären, inspirierende Vorlesungen und interessante Leute. Kneipenbesuche und Feten mit Blackout am nächsten Tag, was nichts daran ändern konnte, dass dir alles in guter Erinnerung geblieben ist.
    Ein zweijähriger Masterstudiengang, zwischendrin ein herrlicher Sommer und dann noch zwei Jahre als Mitarbeiterin bei einem Projekt der Deutschen Telekom. Dann kam die Stellensuche. Deine Kommilitonen bewarben sich für anspruchsvolle Aufgaben bei großen internationalen Institutionen und wurden genommen. Auch Akiko und dich hätten sie genommen, sehr gern sogar, aber ihr habt euch entschieden, nach Hause zurückzukehren, in eure Dörfer, die wegen fehlenden Ressourcenmanagements vor sich hin vegetierten.
    Dörfer mit großem Potenzial, aber es ist niemand da, der die vorhandenen Talente bündelt und auf ein Ziel hin ausrichtet. Ein bewundernswerter, zäher Überlebenswille hat euch hervorgebracht und in die Welt hinausgeschickt, damit ihr euch Kompetenzen aneignet und den letzten Schliff erhaltet. Jetzt ist es eure Pflicht, nach Hause zurückzukehren und euren Landsleuten helfend unter die Arme zu greifen. Großzügig etwas von dem zurückgeben, was einem selbst großzügig geschenkt wurde , hatte Akiko auf Japanisch gesagt. Es klang wunderbar, und auch übersetzt klingt es nicht übel. Eines Abends habt ihr beide diesen Entschluss gefasst, und im September warst du wieder in Muglione.
    Diesmal spielte keine Musikkapelle, aber der Bürgermeister hatte sich dazu durchgerungen, wenigstens eines seiner Wahlversprechen zu halten und ein Berufsinformationszentrum für Jugendliche einzurichten. Die Gemeindeverwaltung stellte dir einen ehemaligen Lagerschuppen zur Verfügung und wollte, dass du von hier aus den Aufschwung Mugliones in Angriff nimmst.
    Okay, super, das war die Gelegenheit, Kontakte zu reaktivieren, den sozialen Kontext zu evaluieren und die Zeitungen über die neue Einrichtung zu informieren. Dann würde das trostloseste Dorf der Pisaner Ebene nicht mehr nur Durchgangsstation für den Autoverkehr nach Florenz sein. Es würde Peccioli nacheifern und den Ort sogar übertreffen. Peccioli hat sich mit der Müllentsorgung einen Namen gemacht, Muglione wird es mit der Bündelung seiner Talente, seinem Enthusiasmus und dem Elan seiner Jugend schaffen, sich aus dem Sumpf zu ziehen. Ja, und deshalb krempeln wir sofort die Ärmel hoch. Los, Tiziana, du hast keine Zeit zu verlieren, los los los.
    Drei Monate

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