Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
trägt eine Trainingshose und einen roten Fleecepulli, der sie noch unförmiger erscheinen lässt, als sie ohnehin ist. Und ihre Haare, mein Gott, ihre Haare. Sehen deine Haare inzwischen auch so aus? Gibst du auch so eine traurige Erscheinung ab? Du darfst gar nicht daran denken, jetzt nicht, am besten überhaupt niemals.
Aber deine Freunde haben’s wirklich drauf, sie sind in der Welt herumgekommen und wissen sich zu benehmen. Sie begrüßen und umarmen Raffaella, als würden sie sie schon ein Leben lang kennen.
Raffaella kann kaum Englisch, und ihre Aussprache ist verheerend, aber deine Freunde bestehen darauf, dass ihr alle gemeinsam zu Abend esst. Raffaella hat zwar schon gegessen, eine Packung Frischkäse mit Tomaten, setzt sich aber trotzdem gern dazu. Hurra. Deine Freunde sind fröhlich und in Feierlaune, und daher hoffst du, dass alles gut geht. Bald sitzt ihr alle um den Tisch herum und trinkt Wein, und es entspinnt sich eine Unterhaltung in einem etwas stockenden Englisch, aber irgendwie funktioniert es.
»Ich glaub’s einfach nicht. Mit Lars? Sie ist ja ganz nett, aber er könnte doch was viel Besseres finden, meint ihr nicht?«, sagt Petra.
Du nickst, denn du siehst es genauso. Du hast die Spaghetti abgegossen und verteilst sie jetzt auf die Teller. Gott sei Dank war ein Glas Pesto im Haus. Raffaella hält sich ganz passabel, sie redet wenig, nimmt sich zurück und lächelt artig, auch wenn sie kaum etwas versteht. Alles geht gut.
Auch du bringst ein Lächeln zustande. Als du Andreas die Nudeln auf den Teller häufst, tropft Öl auf seine Hose, aber er lacht, wischt mit dem Finger drüber und steckt ihn sich in den Mund. »Mmmh«, sagt er, »italienisches Olivenöl«, und der Fleck scheint verschwunden. Seine strohblonden Haare sind so gekämmt, dass sie total ungekämmt aussehen.
Auch die Wohnungen in Deutschland waren so. Sie machten einen tausendmal unaufgeräumteren Eindruck als die in Italien, aber es war ein kunstvolles Chaos. In den Ecken stapelten sich die CDs, Telefon und Stereoanlage standen auf Büchertürmen … das war kein wüstes Durcheinander, sondern gepflegte Wohnkultur. Aber diese Vorhänge hier bei dir, die Lampe überm Tisch, die Topflappen überm Herd, das alles schnürt dir die Luft ab.
»Was habt ihr bloß immer zu lästern?«, fragt Andreas. »Sie verstehen sich blendend, ist doch egal, wenn sie nicht so gut aussieht. Wenn es umgekehrt wäre, würdet ihr kein Wort darüber verlieren.«
Du nickst auch ihm zu, und dann rutscht dir ein Satz heraus, eine gedankenlose Bemerkung. Du kannst es in dem Moment noch nicht wissen, aber sie wird dir zum Verhängnis.
Du sagst: »Stimmt, die Frauen sehen im Allgemeinen besser aus als die Männer. Sie achten mehr auf sich, sie fallen eher auf, das ist ganz natürlich. Oder vielmehr, es entspricht der menschlichen Natur. Denn im Tierreich ist es ja genau umgekehrt.«
»Umgekehrt in welchem Sinn?«
»Na ja, bei den Tieren ist das Männchen schöner, auffälliger.«
»Das stimmt, Mann, das stimmt«, sagt Pascal. Er schaut dich ganz begeistert an. »Die Pfauen zum Beispiel …«
Peacock heißt Pfau. Raffaella kennt das Wort nicht und stupst dich an. Du flüsterst ihr zu, Pfau , und alles ist in Ordnung.
»Also, der männliche Pfau ist schillernd bunt, mit diesen prächtigen Schwanzfedern und allem. Das Weibchen dagegen ist grau und unscheinbar und hat fast überhaupt keine Schwanzfedern.«
»Auch Hähne sind sehr schön, mit dem roten Kamm und den langen bunten Federn.«
»Genau, die Hennen dagegen sind zum Wegrennen.«
»Großartig!« Andreas lacht und klatscht in die Hände. »Die Hennen sind zum Wegrennen. Klingt wie ein Filmtitel. Wirklich großartig!«
Ihr lacht, wiederholt den Titel dieses imaginären Films und fangt an, euch eine entsprechende Handlung auszudenken. Die Einzige, die sich nicht an diesem Spiel beteiligt, ist Raffaella, aber sie schaut in die Runde und lächelt und sagt Yes, yes , und das ist vollkommen in Ordnung.
»Ja, und selbst Hirsche!«, sagt Petra. »Der Hirsch hat ein riesiges, ausladendes Geweih und ein wunderbares Fell, die Hirschkuh dagegen ist sehr viel kleiner und hat kein Geweih.«
Alle nicken. Pascal stürzt ein Glas Wein hinunter, schaut dich an und sagt: »Ja, das ist richtig, das ist absolut richtig. Tiziana hat etwas Geniales gesagt. Mensch, warum bist du nicht immer bei uns? Du fehlst uns, wirklich.«
Du kicherst, trinkst, bist richtig glücklich. Und die Angst, deine Freunde zu dir
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