Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
und mit Ehemännern, die ihre Frauen gern in einem Haufen von Senegalesen sehen wollen. Aber das kann Stefano jetzt nicht erzählen, weil plötzlich die Tür aufgerissen wird und gegen die Wand donnert. Sein Bruder stürmt wutentbrannt ins Zimmer.
Er heißt Cristiano und geht in die achte Klasse. Normalerweise schauen die jüngeren zu den älteren Geschwistern auf, die ihre Vorbilder sind. Normalerweise, aber nicht immer.
»Hör zu, du Blödmann, sag Mama, dass ich heute nichts esse, okay?«
»…«
»Hast du das kapiert? Hallo, bist du überhaupt da? Sag du es ihr. Ich rede kein Wort mehr mit ihr.«
»Mit wem?«
»Mit Mama! Sie hat ihn ins Haus geholt, und ich will ihn hier nicht mehr haben.«
»Wen?«
»Diesen kleinen Scheiß-Champion.«
»Ah. Und warum sagst du ihr das nicht selber?«
»Du hörst mir wohl nicht zu. Ich-re-de-nicht-mehr-mit-ih-ir! Außerdem hab ich es ihr schon eine Million Milliarden Mal gesagt. Aber jedes Mal heißt es Der arme Mirko, so weit von zu Hause weg, er kennt niemanden, und hier ist so viel Platz, und wir müssen gut zu ihm sein und alles mit ihm teilen … «
»Ja, und damit hat sie ja auch tatsächlich irgendwie recht.«
»Ja, gute Nacht, Sté. In deinen Augen hat sie sicher recht, aber du lebst ja auch auf dem Mond und verstehst einen Dreck vom Leben. In der wirklichen Welt teilt keiner was mit irgendwem. Der kleine Champion zum Beispiel, was teilt der denn, hm? Der gewinnt immer und kümmert sich einen Scheißdreck um die anderen. Seitdem er hier ist, machen mir die Radrennen keinen Spaß mehr. Vorher war es viel schöner.«
»Weil du gewonnen hast.«
»Aber doch nicht immer! Ich hab mal gewonnen, mal verloren, dann wieder gewonnen. Aber seitdem der hier ist, macht’s echt keinen Spaß mehr. Die haben sogar extra ein T-Shirt für ihn bedrucken lassen, stell dir das mal vor! Goldgelb, ganz toll, und hinten steht drauf DER KLEINE CHAMPION. Verstehst du?«
»Ja, aber was kann er denn dafür, wenn er stärker ist als du?«
»Okay, aber was kann ich dafür, wenn das hier mein Zuhause ist? Ich möchte ohne ihn hier leben, darf ich? Und solange er nicht von hier verschwindet, rede ich eben kein Wort mehr mit Mama, und ich komme auch nicht mehr mit an den Tisch.«
»Und wenn ihr das egal ist?«
»Was?«
»Mal angenommen, Mama ist es egal, dass du nicht mit uns isst.«
»Ach ja? Dann bring ich mich um.«
»Wie denn?«
»Keine Ahnung. Ich könnte aufhören zu essen. Wenn ich aufhöre zu essen, verhungere ich, stimmt’s?«
»Stimmt, aber es dauert ewig, bis man verhungert ist. Verdursten geht schneller.«
»Nein, das kann ich nicht. Jetzt kommt der Sommer, und Signor Roberto sagt, wir müssen viel trinken.«
»Du klingst nicht wie jemand, der entschlossen ist, sich umzubringen.«
»Aber ich will ja auch gar nicht tot sein. Ich will nur, dass dieses Arschloch von hier verschwindet.«
»Okay. Aber dann geht es doch gar nicht darum, dass du aufhörst zu essen, es reicht, wenn du Mama das magische Wort sagst.«
»Welches Wort.«
»Na du weißt schon. Ano…«
»Ano? Von was redest du, Sté, ich versteh dich nicht.«
»Anorexie! Mama wird ausflippen, das weißt du.«
Cristiano denkt kurz nach, dann probiert er es aus: »Mama, ich kann nichts essen, weil ich Anorexie habe …«
Als er sich das sagen hört, überläuft es ihn kalt. Er nickt und reißt die Augen auf vor lauter Begeisterung über diese geniale Strategie.
»Ist ja geil! Aber sag du es ihr, Stefano, sag du’s ihr, jetzt sofort!« Er verschwindet im Flur, kommt wieder rein. »Geil!«, sagt er, und diesmal verschwindet er wirklich.
Stefano bleibt nachdenklich an seinem Schreibtisch zurück, vor dem ausgeschalteten Computer. Ja, in der Tat …
Er könnte sich für morgen Abend auch so was ausdenken. Nicht gerade Anorexie, aber er könnte aufhören zu trinken … Doch damit hätte er schon vor ein paar Tagen anfangen müssen. Mist, wieso kommen einem die besten Ideen immer erst, wenn es zu spät ist. Aber das mit dem Schlaf wäre vielleicht eine Möglichkeit, er hat ja seit Tagen kein Auge zugetan. Kann man an Schlafmangel sterben? In dem Sinn, dass man irgendwann stirbt, wenn man immerzu wach bleibt? Nein, eher dreht man vorher durch. Aber das ist auch keine schlechte Idee. Du drehst durch, die liefern dich in die geschlossene Anstalt ein, und schon bist du das Konzert los.
Mit dieser Hoffnung im Herzen geht Stefanino zum Mittagessen.
VIBRODREAM
Du malst einen schwarzen Kringel aufs Papier, dann
Weitere Kostenlose Bücher