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Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Titel: Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Genovesi
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Ich male es mir im Geist aus und weiß genau, wie ich mich fühlen werde, wenn es so weit ist. Doch dann taucht plötzlich ein anderer Gedanke auf, ein düsterer Gedanke, der mir alles verdirbt. Der Gedanke an meine Mutter.
    Weil meine Mutter das alles nicht miterleben kann, um mir zu sagen Gut gemacht . Weder wird sie meine Angelfilme sehen noch am Samstagabend beim Festival von Pontedera dabei sein. Allerdings hätte ich sie da auch auf keinen Fall dabeihaben wollen, denn eine Metal-Band, die alles plattmacht, kann sich schlecht von den jeweiligen Mamas begleiten lassen, das wäre ja abartig. Ich hätte ihr daher gesagt Mama, bleib zu Hause, ich erzähl dir alles, aber das ist nichts für dich, da sind nur junge Leute . Und sie hätte so getan, als wäre sie eingeschnappt, aber am nächsten Tag hätte sie alles ganz genau wissen wollen, und ich hätte es ihr erzählt.
    Stattdessen …
    Stattdessen ist sie gestorben, letztes Jahr, ganz plötzlich. Sie stand am Bankschalter in der Schlange, und dann hat sie angeblich etwas gesagt, was keinen Sinn machte, ist zu Boden gesackt, und es war vorbei. Das war am vierzehnten März, aber für mich ist sie am achtzehnten gestorben. Denn wenn ein Mensch stirbt, den du liebst, dauert es eine Weile, bis das in deinem Kopf ankommt.
    Du kannst es einfach nicht begreifen, so absurd ist es. Und es bleibt dir nicht mal Zeit, darüber nachzudenken, denn schon hast du es mit einem gut gekleideten, ernsten Typen zu tun, der wissen will, ob die Signora zarte Pastellfarben bevorzugt hätte oder klassisch zeitloses Holz, und der dir einen Katalog mit verschiedenen Sargmodellen zeigt, ich schwör’s. Um den Sarg musste ich mich kümmern, weil mein Vater mit niemandem sprechen wollte und nur dastand und meine Mutter anschaute. Und dann sind da noch die Verwandten, Freunde und Unbekannten, die kommen, um dir ihr Mitgefühl auszusprechen und tiefgründige, äußerst hilfreiche Sätze von sich zu geben wie Was soll man da noch sagen oder Es ist nun mal passiert oder Irgendwann ist jeder von uns dran, da kann man nichts machen .
    Andere musst du selbst benachrichtigen. Sie haben deine Mutter nur zu besonderen Anlässen besucht und würden sonst gar nicht erfahren, dass sie tot ist. Die musst du unbedingt informieren. Nicht ihretwegen, sondern deinetwegen. Denn wenn du dir sagst, scheißegal, und sie nicht anrufst, wiederholst du genau meinen Fehler. Und dann klingelt es Weihnachten oder Ostern an der Haustür, du öffnest und stehst einer Frau gegenüber, die du seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen hast. Sie hat einen Panettone mitgebracht, schaut dich fröhlich an und fragt Wo ist Antonia? Und dann musst du ihr erklären, dass deine Mutter tot ist, und das tut so weh, als würde sie noch mal sterben. Die Signora steht wie versteinert da, dann umarmt sie dich und bricht in Tränen aus, und du musst sie trösten. Du sie. Und während du eine Stunde lang an der Haustür stehst und eine weinende Unbekannte umarmst, fragst du dich, warum du an jenem unglückseligen Tag nicht noch zwei Anrufe mehr gemacht hast. Zwei Anrufe, das wär’s gewesen.
    Mit all dem will ich aber eigentlich nur sagen, dass es ein Riesenzirkus ist, wenn jemand stirbt, und man gar nicht sofort begreift, was da passiert. Und tatsächlich ist meine Mutter für mich erst vier Tage später gestorben: am Nachmittag des achtzehnten März, als ich beschlossen habe, von allem und jedem davonzulaufen, und mit dem Roller die Kanäle entlanggefahren bin, um zu sehen, was die Karpfen machen.
    In einer ziemlich scharfen Kurve auf einem Schotterweg bin ich mit dem Hinterrad ins Rutschen gekommen und gestürzt. Mir ist zwar nichts Schlimmes passiert, aber ein verrosteter Eisensplitter hat mir das Schienbein aufgeschürft. Rostiges Eisen kann zu Wundstarrkrampf führen, davor hatte ich immer schon Angst. Denn als ich klein war und mich gegen die Tetanusspritze wehrte, sagte die Frau, die mich impfen wollte, ohne die Spritze würde ich einen Wundstarrkrampf bekommen, und dann läuft Blut aus Ohren und Augen, und der Kiefer verkrampft, der Mund füllt sich mit Blut, und man erstickt.
    Ich bin also aufgestanden und hab mein Schienbein untersucht und mich gefragt, ob mein Impfschutz noch wirksam ist, ob ich ins Krankenhaus gehen soll, oder ob ich mir keine Sorgen zu machen brauche. Ich wusste, dass es eine ganz einfache Methode gibt, um mich zu beruhigen: Ich musste die Geschichte meiner Mutter erzählen und von ihr den Satz hören Ganz ruhig,

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