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Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Titel: Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Genovesi
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volljährig und hau jetzt ab, dann bin ich euch wenigstens nicht mehr im Weg.«
    So, das ist der Moment. Jetzt kann ich stolz und hoch erhobenen Hauptes gehen. Wohin, das ist ganz allein meine Sache, ich habe keine Angst und gehe unbeirrt meinen Weg. Auch weil es tatsächlich einen Ort gibt, wo ich hingehen kann. Den Laden.
    Ich verlasse die Wohnung so, wie ich gerade bin, dann stehe ich draußen in der Dunkelheit.
     
    Ich dreh voll auf und fahr gradaus
    Wohin, das ist jetzt scheißegal
    Verstehst du nicht, so bin ich eben
    Nicht kaputt zu kriegen
    Gefahr, Gefahr, rette deine Seele
    So steht’s auf der Mauer
    Wo du lebst, sind die Engel blind
    Mitternacht, ich rase über die Autobahn
    Mitternacht, ich fühl mich geil auf der Autobahn
    Ich fühl mich geil
    Auf einer Autobahn, die niemals endet.
    Ich singe, so laut ich kann. Eigentlich dürfte ich das nicht, in einer halben Stunde beginnt die Probe, und ich riskiere eine Heiserkeit. Doch der Roller ist so verdammt laut, und wenn ich nicht brülle, geht meine Stimme im Motorenlärm unter. Außerdem ist der Text wunderbar, wenn ich ihn höre, bin ich jedes Mal wie auf Speed, heute mehr denn je.
    Obwohl es noch gar nicht Mitternacht ist. Es ist erst neun Uhr, und statt auf der Autobahn bin ich auf der Hauptstraße, der einzigen ernstzunehmenden Straße hier in der Gegend, und dieses Kaff klammert sich dran fest wie alle anderen Käffer in der Ebene. Wie eklige kleine Zecken saugen sie sich an dieser Riesenschlange fest, die sich hier durchwindet. Obwohl ich gar nicht weiß, ob Zecken sich an Schlangen festsaugen. Wahrscheinlich ist Schlangenhaut viel zu hart, und die Zecken haben das Nachsehen. Das ist das Geheimnis: hart sein. Und ich bin hart, total hart. Wo ich bin, sind die Engel blind, aber verdammt noch mal, ich bin nicht kaputt zu kriegen.
    Allerdings ist es saukalt. Mein Pyjama ist dünn, der Roller fährt volle Kanne, und ich ducke mich, um mich vor der eisigen Luft zu schützen, die unter den blauen Stoff kriecht und unter die Haut bis zu den Knochen. Wenn ich morgen mit Halsschmerzen aufwache, bin ich erledigt. Sind wir erledigt. Ich will gar nicht dran denken.
    Mir kommen ganz schön viele Autos entgegen. Mir ist kalt. Ich habe Hunger.
    Das saftige Hähnchen mit den Kartoffeln, das ich in der Rosticceria gekauft habe, lassen sich jetzt mein Vater und der kleine Champion schmecken, während ich mir hier draußen den Arsch abfriere und Kohldampf schiebe. Vor lauter Wut biege ich so schnell in den Kreisverkehr ein, dass ich beinahe zur Seite weggedreht wäre.
    Seit ein paar Jahren gibt es hier überall nur noch Kreisverkehr mit Schildern, auf denen steht, wo die Ausfahrten hinführen. Die nach links und nach rechts führen nirgendwohin, die Ausfahrt geradeaus führt in ALLE RICHTUNGEN. Wenn diese eine Ausfahrt in alle Richtungen führt, wozu braucht man dann die anderen? Boh. Das sollte ich mal einen Polizisten fragen, aber ich verzichte besser auf Provokationen. Denn erstens hab ich keinen Führerschein. Ich habe mir den Roller so umbauen lassen, dass ich mit der linken Hand Gas geben kann, und komme prima damit klar, aber einen Führerschein hab ich nicht. Und zweitens habe ich im Moment nicht mal meinen Helm auf oder was Ordentliches an. Ist wohl besser, wenn ich mir jetzt keine Schwierigkeiten einhandle.
    Und falls diese Ausfahrten aus dem Kreisverkehr doch irgendwohin führen, wird der Polizist das ganz bestimmt nicht ausgerechnet mir erzählen. Vielleicht führen sie zu dem Geheimversteck einer religiösen Sekte irgendwo zwischen den Feldern, zu Wellnesshotels, die für Bürgermeister und Stadträte reserviert sind, oder zu Militärbasen, wo an streng geheimen Projekten gearbeitet wird. Deshalb ist nichts ausgeschildert.
    In der Sowjetunion gibt es eine Stadt namens Ischewsk, und weil dort die Kalaschnikows hergestellt wurden, tauchte sie auf keiner Landkarte auf: Die Stadt durfte es nicht geben. Das weiß ich, weil ich während der Grundschulzeit immer mit meinem Vater im Fernsehen den Giro d’Italia angeschaut habe, und jedes Mal wenn ein Rennfahrer in Großaufnahme zu sehen war, sagte mein Vater Den kenn ich, das ist ein Freund von mir, mit dem bin ich Amateurrennen gefahren . Mein Held aber war Pawel Tonkow, ein bärenstarker Russe und der einzige Radrennfahrer, den mein Vater nicht persönlich kannte. Er konnte ihn gar nicht kennen, denn er kam aus der geheimnisvollen Stadt Ischewsk, die auf keiner Landkarte zu finden war und von der man nur wusste,

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