Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
und kriegt sich nicht mehr ein vor Lachen, wenn Pavel sie gelegentlich auch mal einen Punkt machen lässt.
Du wendest dich wieder deinem Buch zu, hast aber gemerkt, dass du jetzt nicht nur Nikolaj zur Linken und den behaarten Typen zur Rechten hast, sondern dass vor dir auch noch zwei junge Kerle mit Tätowierungen am ganzen Körper liegen. Einer der beiden schmiert sich die Pobacken mit Sonnenöl ein. Sie drehen sich um und schauen dich an, sie drehen sich um und schauen dich wieder an, alles, nur nicht dein Gesicht.
Jedes Mal hast du ein komisches Gefühl. Ja, okay, vorhin beim Umziehen hast du dich kurz im Spiegel betrachtet und dir gedacht, dass du im Bikini gar nicht so übel aussiehst. Gar nicht so übel ist ein riesiges Kompliment, wenn es von dir selber stammt. Und kaum hast du dir am Strand das Kleid ausgezogen, hat Raffaella sich an den Kopf gefasst und gesagt Madonna, Tiziana! Du bist ja ein Model, wie machst du das, ich hasse dich … Nein, war nur ’n Scherz, ich mag dich, aber ein bisschen hasse ich dich schon.
Pavel fand das wohl auch, als er sagte Geile Lady! Hey, Nick, wenn du mit ihr geschlafen hast, bist du mir richtig großen Gefallen schuldig, klar?
Nikolaj starrte auf den Sand und sagte nichts, sondern nickte nur vage.
Pavel sollte sich lieber nicht zu sehr auf diesen Gefallen verlassen, denn dass du was mit Nikolaj anfängst, kommt nicht in die Tüte. Dabei sieht er gar nicht so übel aus, eigentlich sogar recht gut. Ganz nett, würde Raffaella sagen. Er ist so alt wie du, aber in deinen Augen ist er ein Mann, anders als viele Italiener. Egal ob er gut oder schlecht aussieht, er ist für dich ein Mann, mit dem Gesicht, den Händen und der Haut eines Mannes. Keine Ahnung, warum deine italienischen Altersgenossen, deine ehemaligen Mitschüler zum Beispiel, keine Männer sind. Sie sind erwachsen geworden, ohne je zu Männern zu werden. Du meinst das nicht im übertragenen oder im moralischen Sinn oder so. Du meinst ihr Aussehen. Keine Ecken und Kanten, keine klaren Linien, keine Muskeln und Sehnen. Sie sind kleine Jungs geblieben, nur sind ihnen die Haare ausgefallen, sie haben zugenommen und Runzeln bekommen. Als hätte man sie als Sechzehnjährige anderthalb Jahre lang auf freiem Feld ausgesetzt und in Regen, Sonne und Wind verwittern lassen.
Nikolaj ist anders, das spricht für ihn, und trotzdem hat er bei dir keine Chance. Nicht etwa aus Bosheit oder so, du kannst bloß deine Freundinnen nicht verstehen, die sich auf irgendeinen Typen einlassen, nur weil nichts Besseres in Sicht ist.
Single zu sein ist gar nicht so übel. Klar kann’s einem allein auch schlecht gehen, aber in einer falschen Beziehung geht’s dir doppelt schlecht, und sich abzufinden hältst du für das Deprimierendste überhaupt.
Die Zeitungen, die du unterm Arm trägst, verströmen diesen Geruch nach Papier und Druckerschwärze, den du so magst. Ja, heute könnte eine gute Woche beginnen. Die vier Tageszeitungen geben dir ein gutes Gefühl. Fürs Büro hast du »Il Tirreno« und »La Nazione« gekauft, für dich selbst den »Corriere« und die »Repubblica«.
Die Lokalzeitungen kaufst du eigentlich nur wegen der Stellenangebote, aber tatsächlich werden sie von den Alten gelesen, die nach Lokalnachrichten geradezu süchtig sind: Unfall- und Verbrechensmeldungen, kommunalpolitischer Hickhack, Todesanzeigen. Montag ist ihnen der liebste Tag, denn dann erscheinen immer die Berichte über die Katastrophen vom Samstagabend mit Fotos von den Autounfällen und den Beschreibungen all der Schweinereien, die diese jungen Leute angestellt haben, bevor sie endlich gegen eine Mauer geknallt sind.
Der Spaziergang in der Morgensonne ist für dich bereits ein Vorbote des Neubeginns, du lächelst. Das Schöne an so einem kleinen Ort ist, dass man überallhin zu Fuß gehen kann. Man muss nur die Hauptstraße überqueren, aber hat man das erst einmal geschafft, wird es beschaulich.
Du kommst wie immer pünktlich an, das Büro öffnet um neun, und wie jeden Tag warten die Alten schon seit einer ganzen Weile. Aber irgendetwas ist heute Morgen anders. Sie stecken die Köpfe zusammen, und die Zeitung haben sie auch schon. Sie haben sie sich selbst gekauft, also Geld ausgegeben: ein Wunder.
Signor Divo hält »La Nazione« aufgeschlagen und liest vor, die anderen hören mit offenem Mund zu, wie es alte Menschen oft tun, als könnten sie so besser hören.
»… aufragende Momente … nein, Pardon, aufregende Momente … in denen
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