Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Titel: Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Genovesi
Vom Netzwerk:
Lichter, ein Meer von Augen, die von da unten auf uns gerichtet sind. Ich habe so oft davon geträumt, dass ich mich fast vergewissern muss, ob ich nicht vielleicht doch im Pyjama im Bett liege und träume, einen getrockneten Speichelfaden auf der Wange. Aber ich bin wach und voller Power, bereit, diese Leute in den Wahnsinn zu treiben. Dünner Applaus. Den richtigen müssen wir uns erst noch verdienen, klar.
    Giuliano setzt sich ans Schlagzeug. Antonio und Stefanino schließen die Pedale an, ich greife nach dem Mikro. Vorerst lasse ich den rechten Arm noch in der Hosentasche. Bald werde ich ihn rausnehmen, ich schäme mich kein bisschen, dass mir eine Hand fehlt, ich bin aus Metall, und nichts kann mich verwunden. Aber vorerst fühl ich mich so sicherer.
    Ich fange wieder an zu atmen. Ein, aus, ein, aus, alle Blicke sind auf mich gerichtet, einige Zuschauer pfeifen und schreien, die meisten warten. Sie warten auf uns. Bei dem Gedanken fährt geballte Energie durch meinen Körper wie ein Peitschenhieb. Ich packe das Mikrofon und brülle: »Ciao Pontedera!«
    Meine Stimme verhallt zwischen den Mietskasernen und den Lagerhallen im Hof. Aber niemand antwortet. Vereinzelte Yeah -Rufe, aber das sind die paar Freunde von uns, Metal-Fans wie wir, die zählen nicht.
    »Leute, Schluss mit dem Gedudel, seid ihr bereit für eine volle Dröhnung Metal?«
    Immer noch Schweigen.
    »Seid ihr bereit, diese Stadt dem Erdboden gleichzumachen?«
    »…«
    »Wir sind Metal Devastation und werden alles in Trümmer legen. Seid ihr bereit für den Heavy-Metal-Angriff?«
    »…«
    »Ich sagte grade …« Ich hole tief Luft, kneife die Augen zusammen und brülle aus Leibeskräften: »Seid ihr bereit für Heavy Metaaaaaaaaaal?!«
    Endlich wird das Schweigen gebrochen. Erst eine Stimme, dann zwei, fünf, sechs und immer mehr, die zu einer einzigen Stimme verschmelzen.
    Sie brüllen NEIN.
    Wie denn: nein. Ich schlucke, aber meine Kehle ist wie ausgetrocknet. Ich drehe mich zu meinen Mitspielern um. Giuliano hält immer noch die Stöcke in der Luft, als würde er sich der Polizei ergeben. Stefanino ist ein zitterndes Gespenst mit einem Bass, der größer wirkt als er selbst. Antonio fährt sich durchs Haar und schaut mit unbeteiligter Miene zur Seite wie jemand, der bloß zufällig hier ist.
    Ich wende mich dem Publikum zu, das jetzt nicht mehr NEIN schreit. Jetzt schreien sie RAUS.
    »RA-AUS, RA-AUS, RA-AUS.«
    Sie skandieren es mit rhythmisch geschwenkten Fäusten. Immer und immer wieder.
    »RA-AUS, RA-AUS, RA-AUS.«
    »RA-AUS, RA-AUS, RA-AUS.«
    Antonio stöpselt seine Gitarre aus und geht. Giuliano lässt die Arme sinken.
    »RA-AUS, RA-AUS, RA-AUS.«
    Ich hänge das Mikrofon in den Ständer, trete einen Schritt zurück. Das rechte Handgelenk grabe ich noch tiefer in die Tasche. Ich kann es nicht glauben. Ihr kapiert einen Dreck, ihr seid einen Scheißdreck wert, ihr habt es nicht verdient.
    Ich entferne mich noch weiter vom Mikrofon, aber ich sehe, wie Giuliano hinterm Schlagzeug hervorkommt, zum Mikrofon greift und damit an den Bühnenrand geht.
    »Eure Mütter sind Huren«, spricht er hinein. Aber ganz cool und unaufgeregt, als würde er darum bitten, einen falsch geparkten Wagen wegzufahren. Wie eine Durchsage des Veranstalters.
    Das Gebrüll des Publikums wird nur deshalb nicht lauter, weil es gar nicht mehr lauter geht. Dazu fliegen alle möglichen Wurfgeschosse auf die Bühne: Münzen, Steinchen, Feuerzeuge, Plastikflaschen und anderer Kram, ich kapier nicht, was es ist.
    Ich kapier gar nichts mehr.

KATER SYLVESTER
    Die Decke ist weiß, in einer Ecke schimmert ein feuchter Fleck, der keinerlei Assoziationen weckt, er sieht weder aus wie ein Tier noch wie die Jungfrau Maria oder sonst eine bekannte Persönlichkeit. Es ist nur ein formloser feuchter Fleck, den ich seit meiner Geburt jeden Tag im Blick habe, man kann also sagen, dass er für mich die typische Form eines feuchten Flecks hat.
    Ja, genau, ich bin wieder in meinem Zimmer. Ich hatte einfach das Bedürfnis nach einem richtigen Bett und einer richtigen Wohnung, zumindest heute. Außerdem ist Sonntag, in Montelupo findet ein Radrennen statt, und bis heute Abend bin ich allein.
    Plötzlich ist der Sommer da, vor seiner Zeit und richtig heftig. In den Straßen und auf den Feldern brennt die Luft, die Kanäle gären, und es riecht nach modrigen Pilzen. Muglione ist wie leergefegt.
    Wer kann, ist für einen Tag ans Meer geflüchtet oder steht vielmehr drei Stunden lang im Stau,

Weitere Kostenlose Bücher