Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
nicht mehr in der Lage sind, für Sicherheit zu sorgen, nehmen sich aufrechte Menschen ein Herz und krempeln die Ärmel hoch. So geschah es vor ein paar Tagen in Muglione. Einwohner in fortgeschrittenem Alter, die nach einem geselligen Abend auf dem Heimweg waren, bewiesen ihren Mut und vereitelten den Raubüberfall einer Verbrecherbande aus Osteuropa. ( Seite 8 )
Du blätterst weiter, findest den Bericht, eine halbe Seite ist allein dieser Nachricht gewidmet. Ein Foto zeigt Signor Divo und Baldato und noch zwei andere mit ernster Miene und auf den Boden weisenden Zeigefingern. Die Bildunterschrift lautet: DIE WÄCHTER VON MUGLIONE ZEIGEN DIE STELLE, WO SIE AUF DIE VERBRECHER TRAFEN.
DIE TOP-EMPFEHLUNG
Montag früh. Ich erwache nach einer Nacht wirrer Träume, aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, unter Millionen von Würmern außer Rand und Band zu schlafen. Nicht gerade das Leben eines Stars, aber so ist es nun mal.
Eigentlich wollte ich ja heute wieder in die Schule, aber offen gestanden war mir nicht danach. Unsere ganze Klasse war bei dem Konzert. Die verarschen uns ohnehin schon alle, aber jetzt natürlich erst recht, wo wir ihnen so viel neuen Stoff geliefert haben.
Nein, heute ist nicht der richtige Tag, um in die Schule zurückzukehren, aber es ist der ideale Tag, um eine Top-Empfehlung einzuholen. Jetzt kann ich auch endlich mal erklären, was das ist.
Die Top-Empfehlung ist optimal in einer Situation wie dieser, wenn dir tausend Gedanken durch den Kopf schwirren und du den Rat eines Menschen bräuchtest, den du schätzt. Doch da ich so jemanden nicht kenne, verlasse ich mich auf das, was ich bei den Gesprächen der Leute auf der Straße aufschnappe.
Sätze, die ich im Vorbeigehen höre und die gar nicht für mich bestimmt sind, Gesprächsfetzen, Brocken von Telefonaten, mir ist alles recht. Du musst sie allerdings aufgreifen, ohne stehen zu bleiben. Ein ganzes Gespräch zu belauschen und sich dann die geeigneten Stellen herauszupicken gilt nicht. Es soll funktionieren wie ein Netz, das du aufs Geratewohl ins Wasser wirfst, und dann ziehst du es raus und schaust, was drin ist.
Du sortierst die unbrauchbaren Sachen aus, fügst das Brauchbare zusammen, und wenn du es gut machst, verbinden sich die Sätze zu einem großen Ganzen, und heraus kommt ein Rat, mit dem du etwas anfangen kannst, ich schwör’s.
Also streife ich heute Vormittag durch Muglione, und sobald ich jemanden sehe, gehe ich schnell an ihm vorbei, als hätte ich es eilig, irgendwohin zu kommen, um etwas Wichtiges zu erledigen. Aber ich weiß weder, wohin ich soll, noch habe ich etwas, was ich erledigen muss. Deshalb gehe ich ja an diesen Leuten vorbei, in der Hoffnung, dass sie mir irgendwie weiterhelfen.
Und das sind die Gesprächsfetzen, die ich aufgeschnappt habe:
1) Kleine Tassen sind besser als große Tassen (sagt ein fünfjähriger Junge in einer Bar zu seiner Mutter und wiederholt den Satz ohne Ende: Kleine Tassen sind besser als große Tassen – Kleine Tassen sind besser als große Tassen – Kleine Tassen sind besser als große Tassen …).
2) Wenn du das noch mal sagst, schlag ich dich windelweich (Mutter zu ihrem fünfjährigen Sohn).
3) Die porchetta muss richtig saftig sein . Das Brot ist ja ohnehin trocken, wenn das Spanferkel dann auch noch trocken ist, kannst du’s vergessen (Mario vom Zeitungskiosk zu einem Gemeindepolizisten).
4) Komm endlich weiter, es ist schon spät (Philippinerin zwischen zwanzig und fünfzig, die einen kleinen Hund an der Leine zieht).
5) Freundlichkeit bringt gar nichts. Wir haben bis jetzt nur zugeguckt wie die Schafe, und die haben das ausgenutzt, aber jetzt reicht’s! (Der Herr, der früher mal Fernseher repariert hat, zu anderen Alten vor der Jugendinfo).
So, bitte, das ist die Ausbeute von heute Vormittag, damit muss ich jetzt arbeiten …
Meine Lage ist beschissen: Ich wohne in einem Kämmerchen für Angelköder, in anderthalb Monaten habe ich Abiturprüfung, und vielleicht werde ich gar nicht zugelassen. Meine ganze Leidenschaft gilt einer Band, die das Publikum bei ihrem bisher einzigen Auftritt gar nicht erst hat spielen lassen, ich habe einen Vater, der mich aus dem Haus jagt, damit ein unseliger Knirps aus dem Molise mein Zimmer in Beschlag nehmen kann, und meine wütende Reaktion darauf ist, dass ich diesem Knirps bei den Hausaufgaben helfe.
Wie baue ich diese aufgeschnappten Sätze jetzt zu einem brauchbaren Rat zusammen?
Mal sehen … Kleine
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