Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
irgendwelchen Zeitschriften, entdecke ich ihn dann. Kater Sylvester.
Einen Moment stehe ich wie versteinert da, die Papierkugel in der Hand.
Kater Sylvester, das ist ein Glas mit Kater Sylvester drauf.
Mir stockt der Atem, ich starre auf dieses Glas, es ist halb voll mit Orangenlimonade. Ich lasse die Papierkugel fallen, schnuppere am Glas. Nein, es ist keine Limo, sondern Orangensaft. Klar, der kleine Champion darf selbstverständlich keine kohlensäurehaltigen Getränke trinken.
Aber das Entscheidende ist nicht der Saft, sondern das Glas. Dieses Glas. Mir bricht der Schweiß aus. Mein Puls fängt an zu rasen. Ich hatte es in die hinterste Ecke des Küchenschranks gestellt, den wir nie öffnen, und deshalb ist es praktisch so, als wäre es nicht mehr da.
Und jetzt steht es hier, neben dem Computer.
Dieser verkackte kleine Champion hat es genommen, unfassbar, das hat er absichtlich getan. Aber woher wusste er das mit dem Glas? Außer mir weiß es niemand, und auch ich versuche, es so weit es geht zu vergessen. Und jetzt ist es, als wollte dieser Kerl mir sagen O nein, lieber Fiorenzo, bemüh dich nicht, hier ist es, dein schönes Glas …
Denn dieses Glas hat etwas mit meiner Mutter zu tun. Aber nicht wie eine wertvolle Erinnerung, weil sie es mir geschenkt hätte oder weil es ihr Lieblingsglas gewesen wäre. Nein, es hat mit dem Tod meiner Mutter zu tun. Und irgendwie könnte es auch … nein, das ist Unsinn, das kann nicht sein, unmöglich … Aber vielleicht doch, ja, irgendwie hat dieses Glas womöglich doch damit zu tun, dass meine Mutter nicht mehr da ist.
Wenn auch nur ganz wenig. Sehr wenig. Eigentlich nichts, gar nichts, ich habe Quatsch erzählt, auf was für idiotische Gedanken komme ich heute bloß. Alles löschen, sofort löschen …
Was für ein beschissener Tag.
LOKALNACHRICHTEN AM MONTAG
Es ist Montag früh, 8.45 Uhr, du bezahlst den Mann vom Zeitungskiosk und wünschst ihm eine schöne Woche. Er nickt nur. Dabei ist er jemand, der gern ein bisschen quatscht und Witze reißt, und manchmal macht er sogar Mike Bongiorno und Berlusconi nach. Aber dich grüßt er nicht mal. Ein weiteres Rätsel dieses unmöglichen Ortes, wo die meistverkauften Zeitschriften Titel tragen wie »Wildschwein International«, »Rallye Total Plus«, »Die Schnepfenjagd«, »Karpfenfischen leicht gemacht«, »Kimme und Korn«, »Der Jäger«, »Messer Magazin«.
Aber heute ist Montag, eine neue Woche beginnt, und du hast beschlossen, andere Saiten aufzuziehen. Schluss mit dem Gejammer und der Schwarzmalerei. Der Mai ist gekommen, fühlt sich aber schon an wie der Sommer, und ab jetzt willst du nur noch lächeln, gut drauf sein und diesem merkwürdigen Abschnitt in deinem Leben noch mal eine Chance geben. Du fängst sofort damit an. Mit den Zeitungen unterm Arm gehst du ins Büro, und es wird ein guter Tag werden. Jedenfalls ein besserer als gestern.
Denn gestern hast du schließlich doch Ja gesagt und bist mit Raffaella, Pavel und seinem Freund Nick (Nikolaj) ans Meer gefahren. Du wusstest nicht, dass er auch dabei sein würde, sonst wärst du nicht mitgekommen. Oder vielleicht doch, nur um nicht in dem ausgestorbenen Dorf bleiben zu müssen, mit jeder Menge Zeit, dich an den Computer zu setzen und diese Enthüllungsreportage in Angriff zu nehmen. Oder an deinem Blog weiterzuschreiben in der Erwartung, dass dein kalifornischer Verehrer endlich den Mut findet, dich anzusprechen.
Nein, am Meer ist es viel schöner. Die Versilia. Ein Sonntagsausflug wie in den Filmen der fünfziger Jahre. Auch wenn der öffentliche Strand verdreckt und mit Zigarettenstummeln übersät ist, auch wenn es so eng ist, dass jedes Mal wenn das stark behaarte Männchen neben dir sich umdreht, eine Anzeige wegen sexueller Belästigung fällig wäre.
Links von dir liegt Nikolaj, der ab und zu sagt Alles klar bei dich, Tissiana? Womit er meint: Wenn der Typ dir auf die Nerven geht, schlag ich ihm die Fresse ein.
Du aber bleibst in dein Buch vertieft und hoffst, dass Nikolaj aufgibt und zu Raffaella und Pavel hinübergeht, die mitten im Getümmel Beachball spielen.
Raffaella ist in ihrer Art einmalig, das musst du zugeben. Ihr erster Tag am Meer, sie ist rund und weiß wie eine Mozzarellakugel, trotzdem trägt sie einen winzigen roten Bikini, den du nicht mal nach sechstausend Stunden Fitnesstraining und mit einer Sturmmaske überm Gesicht anziehen würdest. Sie dagegen springt fröhlich herum und spielt Beachball in der vordersten Reihe
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