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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Seite an, machte kurz den Mund auf, schien etwas sagen zu wollen, doch die Lippen schlossen sich wieder, ohne dass ein Wort herausgekommen war.
    Also war es an mir, uns von der drückenden Stille zu erlösen. «Nun, wahrscheinlich hätte ich den Weg auch ohne Sie gefunden, ich danke Ihnen aber trotzdem für die fürsorgliche Begleitung.»
    Sjard Dieken war ein großer Mann und seine kurzen, hellen Haare schienen im Dunkeln zu leuchten. Kein Zweifel, er sah aus wie ein Held, wie ein Mann, der auf einem mickrigen Segelboot allein um die ganze Welt gesegelt ist. Seine Haut schien rau und glatt zugleich zu sein und erinnerte mich an Sand in der Sonne. Mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass sich mein Herzschlag beschleunigte, wenn ich ihm gegenüberstand.
    «Setzen wir uns noch auf die Stufen», schlug er vor und ich saß bereits, bevor er den Satz zu Ende gesprochen hatte. «Mir ist schon klar, dass eine Frau wie Sie keinen Wachmann an ihrer Seite wünscht. Es ist nur so, dass es, um bei Rotkäppchen zu bleiben, tatsächlich ein paar Wölfe in der Gegend gibt.»
    Ich war froh, dass ich bereits saß, denn ein ungutes Gefühl beschlich mich. Ich hoffte für einen Moment, der Weg eben wäre endlos gewesen und ich hätte ihm bis in alle Ewigkeiten wortlos auf den Hintern schielen können.
    «Möchten Sie mehr darüber wissen?», fragte er nach einer Weile.
    Ich nickte und hoffte, dass er mir meine Unruhe nicht anmerkte.
    «Wir haben Feinde hier. Es gibt Leute, denen die Arbeit von Liekedeler nicht passt, und die greifen gern auch zu recht merkwürdigen Methoden, um ihre Meinung kundzutun.»
    «Wer sollte etwas gegen die Förderung von Kindern und Jugendlichen haben, noch dazu, wenn sie kostenlos ist?»
    Er zuckte die Schultern. «Wir holen die Kinder von den verschiedenen Schulen ab, wir essen gemeinsam und verbringenden Nachmittag mit ihnen. Lehrer, die nicht nur am Pult sitzen und Noten verteilen, sondern die mit den Kindern segeln und Baumhäuser bauen, mit ihnen die Mahlzeiten einnehmen und Geburtstage feiern. Nicht jeder hier im, sagen wir es freundlich, ‹traditionsbewussten› Ostfriesland beobachtet eine Arbeit wie diese ohne Skepsis.»
    «Merkwürdig», sagte ich nur.
    «Es gibt Gerüchte, wir seien so etwas wie eine Sekte, und ich bin mir sicher, es gibt auch einige zusammengereimte Geschichten, die noch weit mehr unter die Gürtellinie zielen.»
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf. «Diese Schule leistet eine wunderbare Arbeit und jeder, der die Kinder sieht, wird wissen, dass sich nichts   … wie soll ich sagen   … nichts Finsteres dahinter verbirgt.»
    Sjard lachte, doch es war kein besonders fröhliches Lachen. «Sind Sie sich da sicher?»
    Natürlich war ich mir nicht sicher. Es gab einige Momente, in denen ich die Arbeit bei Liekedeler nicht ganz verstand. Einerseits fand man viel Spaß und viel Freude, auf den ersten Blick war es das Paradies auf Erden. Doch mir gingen Szenen durch den Kopf, das ärgerliche Gespräch am Vormittag war
eine
Sache gewesen, die
andere
Sache war dieser seltsame Streit zwischen Gesa und Henk. Vielleicht lag etwas hinter der fröhlichen Fassade.
    Er bemerkte mein Zögern. «Sie sind sich nicht sicher, stimmt’s? Geben Sie es doch zu, heute Morgen hätten Sie uns allen auch ganz gern eine Predigt gehalten, weil Sie ein Problem damit haben, wenn wir die Kinder als Objekte oder, schlimmer noch, als Werkstücke betrachten.»
    Ich musste lächeln, weil er seine Schulter an meine drückte und mich herausfordernd ansah. «Es gibt vielleicht ein paar Dinge,an die ich mich hier noch gewöhnen muss. Eine davon ist die Sache mit der Distanz zu den Kindern. Aber vielleicht haben Sie Recht und es ist Ihr Job, einen gewissen Abstand zu den Schülern zu wahren.»
    «
Mein
Job?», fragte er.
    «Nein, natürlich unser Job. Vielleicht sogar in erster Linie meiner. Aber ich habe so meine Probleme damit. Wenn ich nur daran denke, wie heute der Krankenwagen mit der kleinen Jolanda davongefahren ist   … So etwas geht mir schon unter die Haut!»
    Er strich fest und kameradschaftlich über meinen Arm, den ich wegen der Abendkälte dicht an meinen Körper gepresst hielt. Ein warmes Schaudern fuhr mir bis in die Zehen. «Meine liebe Okka Leverenz, ich hatte auch einen mächtigen Kloß in meinem Magen, als es passierte. Und so ging es wahrscheinlich jedem hier im Haus.»
    «Vielleicht haben Sie Recht, vielleicht ist es so. Ich bin noch nicht lang genug hier, um die Kollegen einschätzen zu

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