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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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sich nie. Sie hatte in ihrem Leben schon viele Entscheidungen getroffen und noch niemals eine davon bereut. Sie war unverheiratet, hatte auf Kinder verzichtet, hatte ihr ganzes Leben in die Stiftung investiert. Und sie wusste jeden Morgen, wenn sie aufstand und ihr die Jahre der Vergangenheit im Spiegelbild erschienen, dass es genau das richtige Leben war, welches sie an diesem Tag erwartete. Alles stimmte. Nichts wurde infrage gestellt.
    Doch an diesem Nachmittag lernte sie das unangenehme Gefühl der Selbstzweifel kennen, das man so leicht nicht abschütteln konnte. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Okka Leverenz einzustellen.
    Nach der Besprechung war sie ins Auto gestiegen, sie hatte einen wichtigen Termin bei Familie van Looden, doch die wenigen Kilometer bis zu deren stattlichem Anwesen zogen sich heute hin. Sie wusste, weshalb. Hier im Wageninneren war sie allein mit ihrem Ärger, den sie nicht rauslassen konnte.
    Sie bog auf die käsige Landstraße, die nach Norden führte, und dachte an Okka Leverenz.
    Es war noch keine Katastrophe, dass sich diese Frau als couragiert und vorlaut erwiesen hatte. Es war noch nicht wirklich schlimm, dass Okka Leverenz sich mehr zu den Kindern hingezogenfühlte als nötig. Doch Veronika Schewe hatte einfach nicht damit gerechnet. Sie hatte sich nach den Bewerbungsgesprächen ganz bewusst für eine ziellos und verschlossen wirkende Kandidatin entschieden. Fachliche Qualitäten waren das eine, persönliches Profil das andere, vielleicht sogar relevantere Kriterium gewesen. Und wenn diese neue Mitarbeiterin nicht gemaßregelt wurde, wenn sie nicht behutsam, aber bestimmt davon abgehalten wurde, mit den Kindern zu arbeiten, dann könnte es wirklich zu einer Katastrophe kommen, zu einer schlimmen Katastrophe.
    Über eines war Veronika Schewe froh: Bislang schien ihr Okka Leverenz bedingungslos zu vertrauen. Jochen Redenius und Sjard Dieken hatten heute das Unangenehme für sie übernommen. Sie hatten klipp und klar erklärt, wie die Verantwortlichkeiten bei Liekedeler verteilt waren und was es bedeutete, wenn man Grenzen überschritt. Veronika Schewe selbst hatte dabei lächeln und zuhören und schlichten können, sodass das gute Verhältnis zu Okka Leverenz nicht gefährdet gewesen war.
    Vor den beiden alten Mühlen, die wie ein Tor die Häuser der Innenstadt umrahmten, bog sie rechts ab. Familie van Looden wohnte außerhalb von Norden in einem alten Gutsherrenhaus. Zwei Löwen aus Stein saßen links und rechts auf den eckigen Pfeilern, die den Eingang zum weitläufigen Grundstück markierten. Eine lange, von Bäumen gesäumte Allee führte direkt auf das fast quadratische, hellgelb getünchte Haus. Veronika ließ das Auto im Schatten der Bäume stehen, und während sie die letzten Schritte lief und ihre Absätze knirschend in den kreideweißen Kies stießen, holte sie das Telefon aus der Handtasche. «Sjard?»
    «Veronika, hmm, das ist jetzt schlecht! Ich habe nicht viel Zeit, es gibt irgendein Problem im Garten. Worum geht’s?»
    Sie seufzte. Eigentlich brauchte sie mehr als nur ein hektisches Telefonat zwischen zwei wichtigen Terminen. Was sie Sjard zu sagen hatte, musste ausführlich und unter vier Augen besprochen werden. Doch es ging nicht anders. Ulfert van Looden, der Vater von ihrem Schützling Dirk, war mehr als wichtig für die Stiftung und sein Terminkalender war mit Sicherheit sehr eng gesteckt. «Es geht um Okka Leverenz.»
    Sie hörte Sjards trockenes Lachen, welches ihr seit Jahren vertraut war. «Es hat dir nicht gepasst, dass sie die Nase in Angelegenheiten steckt, die sie deiner Meinung nach nichts angehen. Ich habe es nicht übersehen, Veronika!»
    «Mach dich nicht lustig über mich. War es so offensichtlich?»
    «Nein, keine Angst. Ich kenne dich nur schon seit Ewigkeiten, mir kannst du nicht mehr die sanfte Mutter Barmherzigkeit vorspielen. Doch ich glaube nicht, dass Okka Leverenz   …»
    «Hör zu, ich habe nicht viel Zeit», unterbrach sie hektisch. «Sei so nett und rücke ihr mal ganz unaufdringlich und charmant auf die Pelle, so wie es deine Art ist.»
    «Mache ich gern, wirklich. Ich finde unsere neue Mitarbeiterin übrigens sehr anziehend.»
    Sie zögerte kurz. Er ahnte ja nicht, wie sehr sie sein letzter Satz störte. «Ist mir auch recht. Wenn du ihr bei deinen Annäherungsversuchen dann gleich plausibel machen könntest, dass   …»
    «Dass in unserer Schule alles bestens läuft und sie die Energie lieber in ihren eigentlichen Job stecken

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