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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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von mir entfernt.
    «Verdammt nochmal, bleib hier, du Mistkerl!»
    Doch eine hohe Welle schob sich zwischen uns und versperrte mir den Blick auf den Körper, der für mich der einzige Punkt war, an dem meine Augen sich festhalten wollten.
    Er war weg. Verschwunden.
    Eine Stunde. Er würde wiederkommen. Er hatte es mir versprochen. Er würde mir helfen.
    Eine Stunde noch.
    Fester Boden. Sicherheit, warme Küsse.
    Er hatte es mir versprochen.
    Ich begann Wasser zu schlucken. Ich schmeckte nicht, ob es salzig war oder bitter oder süß.
    Er würde mir helfen.
     
    Dieser Scheißregen.
    Gesa hatte doch kaum geschlafen, erst der lange Fußmarsch bis zum Liekedeler-Haus, dann hatte sie, als Veronika Schewe endlich als Letzte den Garten verlassen hatte, bis zum Morgengrauen neben der Glut des Feuers gehockt und ein paar liegen gebliebene Kartoffeln gegessen, und als sie in ihrem Versteck endlich so etwas wie Schlaf gefunden hatte, war es draußen schon wieder hell.
    Gesa hatte überall Schmerzen. Der Kopf ballerte wie immer, dazu kamen die heftigen Schrammen, die sie sich bei ihrer Flucht aus dem Geräteschuppen zugezogen hatte. Die Füße taten weh vom Laufen, der Magen knurrte. Und der Rücken fühlte sich an, als sei er an der Wirbelsäule aufgerissen, weil man in einem Abwasserrohr eben doch nicht so gemütlich schlief wie in einem Bett.
    Und nun regnete es. Seit zwei Stunden schon. Und zwar nicht nur ein bisschen, sondern wie aus Eimern. Gesa wusste, dass sie ihr kleines Versteck schon bald würde verlassen müssen.
    Das darüber liegende Weidegrundstück wurde durch ein unterirdisches Kanalsystem entwässert und der Hauptschacht, in dem sie jetzt saß, mündete in den Kanal, der das Grundstück vom Schulgelände trennte. Es lag hinter dunkelgrünen Brennnesseln verborgen und außer ihr hatte noch niemand das schwarze, tote Betonrohr entdeckt. Mit gebücktem Rücken konnte Gesa sogar darin stehen, und da das Wasser auf den Weiden selten so hoch stand, dass die Kanäle benötigt wurden, war der Boden der Röhre normalerweise trocken und staubig. Doch heute war es anders, der Gewitterregen war bereits bis zum Rohrsystem durchgesickert und floss nun als dünnes, aber stetig anschwellendes Rinnsal zwischen ihren Beinen hindurch. Gesa hatte sich ein paar starke Äste quer in den Eingang geklemmt, auf denen sie eine Armlänge oberhalb des Bodens sitzen konnte und so einigermaßen trocken blieb.
    In den kleinen, schmalen Nebenkanälen, die nur einen guten halben Meter tiefer links und rechts von der Hauptröhre abgingen, hatte sie einige Schätze aufbewahrt. Eine Plastiktüte mit Gummibärchen, die nun leider schon in einer schlammigen Lache vor sich hin schwammen und wahrscheinlich grauenhaft schmeckten, zwei Coladosen, das Skelett einer verendeten Silbermöwe, geklaute Wachsstifte. Hier waren ihre Schätze sicher. Hierher kam niemand außer diesem bekloppten Regen.
    Dabei durften sie gar nicht zum Graben gehen. Dr.   Veronika Schewe hatte es ihnen mehr als nur einmal eindringlich gesagt: Das Ufer war schlammig und nach heftigen Regenfällen wie diesem hier war der kleine Kanal oft einen Meter tief unter Wasser, ideal zum Ertrinken.
    Heute am späten Vormittag hatte sie Stimmen gehört, die nach ihr riefen, es waren nicht ihre Eltern gewesen, aber sie hatte eisern geschwiegen, da sie wusste, wer immer nach ihr suchte,tat es, weil die Eltern hinter ihr her waren. Sie hatte schließlich die Scheune abgefackelt. Auch am Nachmittag hatten einige der Kinder noch nach ihr gesucht. Doch als der Regen einsetzte, waren die Rufe verstummt, ohne dass man sie gefunden hatte.
    Der Regen, der verdammte Regen. Noch nie hatte Gesa einen solchen Regen erlebt. Bis eben hatte sie noch gedacht, ihr könne nichts passieren, wenn sie in ihrem Versteck sitzen blieb, vielleicht würde es ein bisschen feucht werden, das wäre nicht so schlimm. Doch dann brach dieser Regen immer heftiger auf sie ein. Sie beobachtete den Schleier aus erdbraunem Wasser, der vor ihrem Ausgang niederging wie ein Wasserfall. Die Weide lief über, schwoll an und ergoss sich an den Rändern in die Gräben, von denen sie eingekreist war.
    Gesa begann zu zittern, verdammt nochmal, ihre Kleidung war schon ganz nass und das Gewitter wurde von einem ziemlich starken Wind begleitet, der sich sogar bis in ihre Röhre wagte und kalte Luft über ihren Körper blies. Sie konnte das Gluckern und Schmatzen des Bodens über sich hören, es würde nicht mehr lange dauern und das Wasser

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