Fischer, wie tief ist das Wasser
herumexperimentiert, und das ist es doch, was du und Ben vermuten …» Er nickte langsam. «Also, nehmen wir an, dieser Verdacht stimmt, dann können wir nicht einfach nur herumsitzen und die Kinder vergessen, bis uns etwas eingefallen ist!»
Ich wollte mich aufrecht hinsetzen, doch die Erschöpfung ließ es nicht zu. «Scheiße!», fluchte ich über meine Schwäche. Selbst wenn ich wollte, heute ging gar nichts mehr.
«Es geht dir um die Schüler, nicht?»
«Natürlich geht es mir um die Schüler! Jedes Kind für sich ist ein Schatz, sie müssen beschützt werden.»
«Kennst du auch eine Gesa Boomgarden?», fragte er unvermittelt.
«Ja, natürlich kenne ich sie. Was ist mit ihr?»
«Sie ist ebenfalls heute Abend in dieses Krankenhaus eingeliefert worden. Ben hat es mir am Telefon erzählt. Er hat wegen dieser Autopsiesache Kontakt zu einem seiner ehemaligen Kollegen aus der Notaufnahme aufgenommen und ihn gebeten, Bescheid zu sagen, falls mal wieder ein Liekedeler-Kind eingeliefert wird.»
«Und warum ist sie hier?», fragte ich erschrocken.
«Sie hat zu Hause gezündelt, ist abgehauen und wurde dann völlig durchnässt und verfroren beim Liekedeler-Grundstück gefunden. Sie klagte über Schmerzen, hauptsächlich heftige Kopfschmerzen. Nun hat man sie zur Beobachtung in die Neurologie gebracht.»
«Mein Gott», stieß ich hervor. Das nächste Kind. Erst Jolanda und jetzt Gesa. «Wir haben wirklich verdammt wenig Zeit. Wir müssen etwas tun!»
Noch am selben Abend zog ich mir die alten Klamotten über, die mein Vater mir aus unserer Wohnung mitgebracht hatte. Keine Ahnung, wo er diesen fadenscheinigen Sportanzug aufgestöbert hatte, doch ich war ihm dankbar, denn nun konnte ich das Krankenhaushemd im Schwesternzimmer abgeben und wie ein halbwegs normaler Mensch die langen, blank gewienerten Flure entlanggehen. Es ging mir ein wenig besser, eine klare Brühe hatte ein paar Kraftreserven geschaffen, die ich nun für unsichere Schritte aufbrauchte. Ich musste mich am Geländer festhalten, als ich die Steinstufen bis ins Erdgeschoss hinunterschlich, doch nichts konnte mich davon abhalten, nach Gesa Boomgarden zu suchen. Der rauchende Mann hinter der durchlöcherten Glasscheibe im Eingangsbereich der Klinik schaute nur beiläufig auf seinen Computerbildschirm, murmelte etwas, das wie «Neurologie, Station 2, Zimmer 4» klang, dann zog er wieder an seiner Zigarette.
Ich wusste, dass Gesa Boomgarden mich nicht mochte. All diese gemeinen Unwahrheiten, die sie zu meinem Schaden im Kollegenkreis erzählt hatte, dann die Geschichte mit Henk und dem Fenster im Hausgiebel, kein Zweifel, Gesa Boomgarden war kein liebes, unschuldiges Mädchen, auch wenn sie so lächeln konnte. Doch ich musste sie besuchen. Wir hatten uns viel zu erzählen.
Ich stieß die geriffelte, schwere Tür auf, hinter der sich der neonbeleuchtete, graue Flur der neurologischen Abteilung befand. Es war still hier, obwohl es gerade halb neun am Abend war. Eine Schwester schaute um die Ecke, als die Tür mit einem sanften, aber hörbaren Ruck hinter mir zufiel. Die Frau im weißen Kittel legte behutsam den Zeigefinger auf die Lippen und lief mir entgegen.
«Gesa Boomgarden?», flüsterte ich.
Sie musterte mich von oben bis unten. «Sind Sie die Mutter?»
Erst wollte ich energisch den Kopf schütteln, nein, ich war nicht die Mutter. Doch dann begriff ich, dass man mich nicht zu Gesa lassen würde, wenn ich zugab, so etwas wie die Sekretärin ihrer Schule zu sein. Ich schaute zu Boden, um eine Lüge zu vermeiden.
«Sie haben Schreckliches durchgemacht, ich weiß. Doch zum Glück hat sich keiner ernsthaft verletzt. Steine kann man wieder aufeinander stellen, oder nicht?» Sie nahm mich an der Schulter und blickte mich schräg von der Seite an. «Geht es Ihnen denn wieder einigermaßen gut?»
Ich zögerte. Was diese Krankenschwester zu mir sagte, entsprach der Wahrheit: Ich war nicht ernsthaft verletzt worden, ich war nur nicht die Frau, für die sie mich hielt.
«Geht schon wieder, danke», log ich. «Ich möchte zu Gesa. Bitte!»
Sie lächelte mich an. «Eigentlich sollte das Kind ein wenig schlafen. Doch ich bin mir sicher, dass ein Gespräch mit ihrer Mama sie mehr beruhigen wird als alles andere.» Sie ging mit ihren leisen Gesundheitsschuhen ein paar Schritte voraus, dann öffnete sie sachte eine Tür und trat ein. «Gesa, hier ist noch ein später Besuch für dich.»
Gleich würde wohl der Schwindel auffliegen, doch ich wollte
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