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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Meter weit getrieben sein, nachdem es wieder frei war, nur um sich an einer tieferen Stelle schwerfällig und endgültig auf den Grund sinken zu lassen. Nur der dürre Mast schaute noch hervor. Ich paddelte mit den Armen, wollte Halt finden an diesem kleinen bisschen Boot, doch erst als Sjard mir von hinten unter die Arme griff und mich schwimmend vor sich herschob, fanden meine Hände endlich den Mast, fanden meine Hände endlich ein Stück, an dem sie sich zitternd festhalten konnten.
    Sjard schwamm um mich herum, hielt sich dann ebenfalls fest, mit einer Hand nur. Er hatte immer noch eine beruhigende Kraft in seinen Augen, als er mich anblickte, er zwinkerte mir zu und sagte etwas, so etwas in der Art von: «Ganz schön nass hier, oder?»
    Er umarmte mich, drückte meinen Kopf an sich, so gut es ging, denn die Rettungswesten waren dick und blähten sich um den Nacken. Ich war froh, dieses Ding an meinem Leib zu spüren, doch die Umarmung war etwas, was mir tausendmal mehr Sicherheit gab. Einen kleinen Moment jubelte ich und dachte: Alles ist gut. Er ist doch da! Doch es war zu kalt zum Jubeln, zu stürmisch zum Ausruhen.
    «Kann ich dir etwas sagen, Okka?», fragte er und fasste mit derHand hinter meinen Kopf, sodass ich ihn ansehen musste. «Hörst du mich?»
    Ich wollte nicken, doch er hielt mich zu fest, fast als wollte er mich gleich untertauchen, mich ertränken. Die Kraft hätte er gehabt. Doch stattdessen küsste er mich kurz und heftig.
    «Ich werde losschwimmen!»
    «Was?», schrie ich. Der Gedanke, dass er mich hier allein zurücklassen könnte, war schlimmer als all die Schmerzen und die Kälte, die meinen Körper inzwischen mit voller Wucht traktierten.
    «Es ist gar nicht so weit, wir liegen auf dem Wattenmeer, ein paar Meter nur, und ich kann wieder stehen. Es ist wie eine Kraterlandschaft unter uns. Hier versinken wir, und direkt nebenan geht uns das Wasser bis zur Hüfte.»
    Das Wasser bis zur Hüfte. Die Aussicht auf festen Boden unter den Füßen und ein ruhiges Atmen war schön. Aber ich ahnte, dass es nicht so problemlos war, wie er es mir weismachen wollte, trotzdem flehte ich ihn an: «Ich komme mit! Nimm mich mit! Beide zusammen schaffen wir es! Wenn du sagst, es ist so leicht   …!»
    «Ich habe nicht gesagt, dass es leicht ist», unterbrach er mich und er musste beinahe nach jedem Wort Atem holen. «Zwischen der Insel und uns liegt die Fahrrinne, die ist zwar nur wenige Meter breit, aber durch sie läuft das ganze Wasser, die Strömung ist reißend. Du würdest es vielleicht nicht schaffen, Okka. Aber ich bin ein guter Schwimmer, glaub mir. Ich komme da durch und dann ist es nicht weit bis zur Insel. Ich werde Hilfe holen, verstanden?»
    «Nein!», schrie ich und wie von Sinnen klammerte ich mich mit Beinen und Armen an alles, was ich von seinem Körper zu fassen bekam, ich krallte mich in seinen kurzen Haaren festund biss in seine Weste. Er sollte mich nicht verlassen. Ich wollte nicht allein sein. Meinetwegen bis in die Ewigkeit an diesem verdammten Mast kauern, aber ich wollte nicht allein sein.
    «Lass mich los, Okka.» Er schrie nicht, sondern sprach zu mir ruhig wie zu einem Kind. «Das Wasser steigt höllisch schnell, doch dir bleibt noch mehr als eine Stunde, bis du in Gefahr bist, den Mast zu verlieren. Eine Stunde, Okka, bis dahin bin ich längst wieder hier.»
    Ich heulte erbärmlich. Ich wollte sagen, dass er mich nicht allein lassen durfte, auf keinen Fall, dass ich ertrinken würde, doch das Schluchzen erstickte die Worte.
    «Du schaffst es schon. Vielleicht hat ja doch vorhin jemand unseren Notruf gehört und die Rettungsleute sind da, bevor ich überhaupt Hilfe holen konnte.»
    Doch ich dachte, wenn jemand von uns beiden draufgeht, dann bin
ich
es, weil
er
stark war und
ich
schwach. Ich hatte Angst zu sterben. Todesangst ist schlimm, doch in diesem Moment war für mich das Allerschlimmste, verlassen zu werden, allein zu sterben.
    «Keine Angst, Okka, bleib beim Boot und halte dich fest. Ich hole Hilfe, es sind nur ein paar Meter bis zur nächsten Sandbank, und die werde ich schwimmen. Bin gleich wieder da. Und du hältst solange durch, verstanden? Wir sehen uns.» Ich spürte den Kuss auf meinen Lippen und die kalte Hand, die mir grob und zärtlich zugleich über das Gesicht strich.
    Doch dann riss er sich los, schlug mir ins Gesicht, um sich von mir zu befreien, und in schnellen, sicheren Schwimmzügen hatte er sich von einer Sekunde auf die andere unerreichbare Meter

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