Fischer, wie tief ist das Wasser
wenigstens einen Blick auf Gesa werfen, ihr schnell alles Gute und gute Besserung wünschen. Warum um alles in der Welt hatte sie eine Scheune in Brand gesteckt? Es musste etwas geschehen sein.
«Hallo», sagte ich, winkte mit erhobener Hand, als ich die kleine, unter der Decke fast nicht auszumachende Gesa im Bett liegen sah, von dem aus sie mich mit zwei weit aufgerissenen, verzweifelten Kinderaugen ansah.
«Deine Mutter ist hier, Gesa. Freust du dich?»
«Mama», hörte ich Gesa sagen. «Schön, dass du gekommen bist.» Ihre Stimme war dünn.
«Oh, wie schön», flüsterte mir die Krankenschwester vertraulich ins Ohr. «Sie hat seit ihrer Einlieferung keine Silbe gesagt. Sehen Sie, Mütter vollbringen immer wieder die größten kleinen Wunder.» Dann schob sie mich sanft nach vorn, bis ich neben dem großen, weißen Bett stand und fast automatisch Gesas kleine Hand ergriff. «Bleiben Sie ruhig eine Weile, ich gehe jetzt wieder. Sie haben sich bestimmt eine Menge zu erzählen.»
Ich blickte der Schwester hinterher, und erst als die Tür wieder zufiel, wagte ich, Gesa ins Gesicht zu sehen.
Es war eine andere Gesa. Natürlich erkannte ich die blonden Haare und die kleine Himmelfahrtsnase, doch im ersten Moment dachte ich trotzdem, dass sie eine andere war. Die Augen waren rot und geschwollen.
«Ich hätte Sie fast nicht erkannt, als Sie eben reingekommen sind. Kommt vom vielen Heulen. Ich heule schon die ganze Zeit. Schrecklich, nicht wahr?»
Ich drückte ihre Hand. «Aber nun hast du mich erkannt. Und?»
«Mein Gott, bin ich froh, dass Sie nicht wirklich meine Mutter sind», sagte sie und lächelte schief.
Ich erwiderte ihr Lächeln, es mag genauso angestrengt ausgesehen haben wie das ihre, dann setzte ich mich auf das Bett und strich meine verworrenen Haare aus dem Gesicht.
«Sie sehen auch nicht viel besser aus als ich heute», sagte Gesa nach einer Weile.
Ich konnte mein Spiegelbild im Fenster sehen, sie hatte Recht, ich sah grauenhaft aus, einige Kratzer zogen sich über die Stirn, ich fühlte mit der einen Hand darüber, weil ich fast nicht glaubenkonnte, dass sie wirklich zu mir gehörten. «Ich sehe noch viel schlimmer aus als du, meinst du nicht? Vor allem viel, viel älter. Immerhin hat die Schwester mich schon zu deiner Mutter gemacht.»
«Warum haben Sie ihr nicht gesagt, wer Sie wirklich sind?»
«Nun, ich wollte zu dir, Gesa. Und eine Schulangestellte lassen sie nicht einfach so rein. Ich habe gehört, dass man dich hier eingeliefert hat, und dir scheint etwas Schreckliches passiert zu sein. Und das ist eine Sache, die uns verbindet, abgesehen von unserem erbärmlichen Aussehen. Auch ich habe ein paar schreckliche Stunden hinter mir.»
«Man sieht es Ihnen an», antwortete Gesa. Inzwischen schien sich ihre Hand an die meine gewöhnt zu haben, sie schien die Berührung zu mögen.
«Ich finde es gar nicht so schrecklich, dass unser Hof abgebrannt ist. Die Stunden davor, als sie mich in den Schuppen eingesperrt hatten wie eines von unseren Schweinen, die waren wirklich schrecklich. Sie haben mich so an damals erinnert.»
Sie machte eine kurze Pause und ich legte den Arm auf ihre Schulter. Sie ließ es geschehen, nach ein paar Atemzügen ließ sie sogar ihren Kopf gegen meine Hand sinken.
«Ich war eingesperrt und hörte immer nur diese alten Geräusche, so wie früher. Kein Reden, keine Menschenseele, ich war allein und musste dauernd daran denken, wie es war. Und da bekam ich Angst, dass es wieder so werden könnte.»
Ich begann, mit den Fingern durch ihre Haare zu fahren.
«Ich wollte einfach nur weg. Einfach abhauen. Ich hatte nicht vor, alles abzufackeln. Ganz bestimmt nicht.»
«Ich glaube dir», sagte ich nach einer ganzen Weile. «Wenn du wüsstest, wie gut ich dich verstehe. Weißt du, als ich so alt war wie du, da war ich auch allein, irgendwie war ich immer allein.Es ist ein schreckliches Gefühl, wenn man weint und keiner bekommt es mit.»
«Ich habe keine Ahnung, normalerweise heule ich nie. Echt nicht. Doch seit Redenius mich gefunden hat, kann ich nichts dagegen tun, es passiert einfach von ganz allein.» Schon wieder traten ihr Tränen in die Augen.
«Sie wollen morgen meinen Kopf durchleuchten, weil sie meinen, es könnte etwas kaputt sein in meinem Gehirn. Die Ärztin hat mir von einer engen, lauten Röhre erzählt, in die ich morgen geschoben werden soll. Ich bräuchte keine Angst haben, hat sie gesagt, ich soll nur ganz still liegen bleiben, damit man sehen kann,
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