Fischerkönig
durchdringenden Laut des antiquierten Gerätes. Dann nahm er ab. »Da?« Irina war dran, und sofort, als er nur ihre Stimme hörte, machte sein Herz einen Hüpfer. Bevor er sie jedoch fragen konnte, wie es ihr und der Kleinen ging, sagte sie aufgeregt: »Du musst verschwinden. Sie suchen dich.« Sein Puls schoss hoch. Er wusste, was das bedeutete. Und es stand viel auf dem Spiel, unglaublich viel. Eigentlich alles. Er hatte keine Ahnung, was er machen sollte, wenn sie ihn finden würden. Aber es ging nicht. Er konnte sie nicht hängen lassen. Nicht jetzt. Nicht so. Nicht in dieser Lage. Seine Irina. »Ich bleibe«, beschied er. Irinas Stimme nahm einen flehenden Tonfall an, als sie ihn bat zu verschwinden, wenn schon nicht wegen sich selbst, dann ihr zuliebe, der Kleinen zuliebe. Er schluckte wieder und spielte tatsächlich kurz mit dem Gedanken abzuhauen. Aber sein Platz war hier, bei ihr, war es immer schon gewesen. Sie waren immer zusammen gewesen, immer. Und das würde sich jetzt nicht ändern, nicht, weil der alte Sack über den Jordan gegangen war. Nichts und niemand konnte sie trennen und das sagte er ihr. Nun wurde Irina laut. »Du Idiot«, schimpfte sie, »hau endlich ab, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie …« Im Hintergrund begann die Kleine zu wimmern. Irina senkte schlagartig die Stimme. »Bitte«, sagte sie nur noch. »Bitte geh!« Dann klickte es in der Leitung.
Lisa und Heiko hatten sich für ein schnelles Mittagessen auf der Außenfläche des Bacchus-Kellers entschieden. Lisa wählte den gebackenen Schafskäse mit Salatgarnitur, während Heiko wie üblich was Gscheits, nämlich Gyros, bestellte. »Was denkst du, wie der Anhänger an den Tatort gekommen ist?«, fragte Lisa. Heiko nippte an seiner Cola. »Also für mich ist der Hintermann immer noch nicht ganz aus dem Rennen. Andererseits – so abwegig ist die Auftragskillertheorie auch wieder nicht. Oder es war der notgeile Nachbar, der auch mal zum Zug kommen wollte.« Lisa sah einer Taube zu, die sich mit ruckendem Köpfchen nach Krümeln umsah und hektisch zu ihren Füßen hin und her rannte.
»Oder es war jemand ganz anderes«, gab sie zu bedenken.
»Aber wie kommt dann der Anhänger an den Tatort? Vielleicht ist er auch zufällig da hingeraten.«
»Wohl kaum, so auffällig, wie der da rumlag«, widersprach Lisa.
»Erinnerst du dich, bei dem Kleintierzüchter hatten wir damals ja auch den ganzen Verein im Visier. Dass diese Mordopfer aber auch immer so ein kompliziertes Umfeld haben müssen«, beschwerte sich Heiko. »Können wir nicht mal an einen geraten, der nur eine rachsüchtige Exfrau hat und sonst keinerlei Kontakte zur Außenwelt pflegt?« Lisa unterdrückte ein Grinsen. Ein böser Scherz, aber er traf den Kern des Problems. Es waren zu viele Leute mit einem guten Motiv, also tappten sie weiter im Dunkeln. Der Wirt kam und brachte den dampfenden Schafskäse, der für Heiko maximal als Vorspeise durchging, und das umso lohnendere Gyros mit Pommes. Seit einem Rhodosurlaub wusste Lisa, dass Pommes auf Griechisch ›Patates tiganides‹ hießen, wie sie erklärte. Zudem erwähnte sie die sprachliche Parallele zwischen ›Patates‹ und dem spanischen ›Patata‹, was wiederum vom Quechua-Wort ›Papa‹ abgeleitet sei, was so sei, weil die Kartoffeln aus Südamerika stammten und die Quechua-Indianer ja bekanntlich die Nachfahren der Inka seien et cetera.
»Hm«, machte Heiko und aß Gyros. Es schmeckte vorzüglich. Und Lisa war ja so sprachbegabt. Lisa seufzte und aß ein Stück vom Käse, der offenbar auch mundete. Heiko spießte gleich drei Patates tiganides auf seine Gabel und betrachtete sie sinnend. »Wir müssen noch mehr über das Umfeld rausfinden. Und vielleicht ist ja der Lederjackenmann der Auftragskiller?«
»Na«, warf Lisa ein und verspeiste eine schwarze Olive, »seit wann machen Auftragskiller Hausbesuche?«
»Die ganze Tat ist sowieso eine seltsame Mischung aus Affekt und Planung«, gab Heiko zu bedenken.
»Ja, nicht wahr, die Mordwaffe!«, stimmte Lisa zu. »Das hab ich mir auch schon überlegt.«
»Genau. Denn welcher Mörder verlässt sich darauf, dass das Opfer die Mordwaffe um den Hals hängen hat?«
Ein Stück Tomate verschwand in Lisas sinnlichem Mund. »So, wie wir den Siegler bisher kennen, war es nicht unwahrscheinlich, dass er sie umhaben würde. Vor allem nicht an diesem Abend, sozusagen bei der letzten Gelegenheit.«
»Stimmt. Aber wieso hat der Mörder nicht einfach eine Knarre genommen?
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