Fischland Mord - Küsten-Krimi
Was ist mit den beiden letzten
Textdateien?« Sie zeigte auf das Verzeichnis auf dem Laptop-Display.
Paul öffnete zunächst die Datei » AZ 45-99_ E rmanskih_ M & K «. Hinter dieser
Bezeichnung verbargen sich Teile einer Untersuchungsakte aus dem Jahr 1999 zu
einem bis heute unaufgeklärten Mord in Schwerin. Ein gewisser Pjotr Ermanskih
war in Zusammenhang mit einem Kunstraub erschossen worden, und einer der
hinzugezogenen Experten war niemand anders als Josef Kind gewesen. Laut den
Protokollen hatten Claus Menning, damals Kriminaloberkommissar in der
Landeshauptstadt, und Kind im Verlauf der Ermittlungen mehrmals miteinander zu
tun gehabt. Natürlich ging daraus nicht hervor, ob sie sich danach jemals
wieder begegnet waren. Aber obwohl das zwölf Jahre zurücklag, war es doch
unwahrscheinlich, dass sich Menning nicht mehr an einen solchen polizeilichen
Misserfolg und an die maßgeblich beteiligten Personen erinnerte. Vor
allem, nachdem Kassandra gleich zu Beginn des Falls »Ferdinand
Thuns« Interesse für Kunst zur Sprache gebracht hatte.
Die letzte Datei, »Vita CM «,
beinhaltete einen Lebenslauf von Claus Menning, der sich an einer weiteren
Stelle mit dem von Josef Kind überschnitt: Von Schwerin aus war Menning
vorübergehend nach Lübeck gegangen, wo Kind im Jahr 2000 ebenfalls seine Zelte
aufgeschlagen hatte. Das bewies gar nichts, mochte aber ein zusätzlicher
Hinweis sein. Im Anschluss an den offiziellen Lebenslauf folgte noch eine
Notiz: Menning hatte im Februar 2009 Urlaub auf Mauritius gemacht. Angeblich
ein Schnäppchen, aber Dietrichs Recherchen zufolge musste
dieser Aufenthalt rund neuntausend Euro gekostet haben. Außerdem
besaß Menning zwar keine kostspielige Segeljacht, keinen teuren Sportwagen oder
Designer-Anzüge, aber er war Musikliebhaber. Die Anlage in seiner Wohnung war
das Feinste vom Feinen – Dietrich hatte den Wert mit rund zweihunderttausend
Euro angegeben.
»Das sieht aus«, sagte Kassandra, »als habe Menning mit Josef Kind
sehr lukrative Geschäfte betrieben. Kunstschmuggel vielleicht und Verkauf von Fälschungen
aufgrund von Gutachten, deren Papier mehr wert war als der Inhalt. Oder
beziehen Hauptkommissare ein so hohes Gehalt, dass sie sich das alles leisten
können, Herr Jung?«
»Kaum«, war Jungs einsilbige Antwort.
»Wenn das stimmt, hat Menning allerdings kein Motiv«, fuhr Kassandra
fort. »Weshalb sollte er Kinds Tod wollen oder gar dafür verantwortlich sein,
wenn ihm dadurch seine Einnahmequelle verloren ginge? Er kann diese Geschäfte
doch bestimmt nicht allein weiterführen.«
»Er könnte mit Kind in Streit geraten sein«, sagte Paul
nachdenklich. »Vielleicht war es nichts Geschäftliches, sondern was Privates.
Vielleicht …« Er zögerte.
»Was?«, fragte Jonas. »Ich finde, Kassandras Argumente klingen
absolut einleuchtend. Es passt doch alles zusammen: Menning und Kind werden
ihre Kohle nicht auf ihren Sparbüchern lagern. Was treibt also Mennings Sohn im
Land der Nummernkonten? Spielt er Geldverwalter? Außerdem war da noch dieses
Telefonat mit der Bank auf Guernsey. Die Kanalinseln sind ein nettes Steuerparadies.«
Paul nickte langsam. »War nur so ein Gedanke.«
Durch das geöffnete Fenster hörte Kassandra die See rauschen – etwas
Alltägliches, das sie liebte und das zum Fischland gehörte. Und hier drin
redeten sie über Mord. Der überhaupt nicht zum Fischland passte. Immer noch
nicht, obwohl sie sich seit drei Wochen mit nichts anderem beschäftigte.
»Lasst uns das mal sortieren«, sagte sie. »Arnolds Motiv, Kind aus
dem Weg zu räumen, war sein Hass auf ihn, weil er Tina bedrängte. Dafür
spricht, dass er uns ihretwegen in die Irre führen wollte – all das, nachdem
sie sich getrennt hatten, was wahrscheinlich heißt, dass er sie nach wie vor
liebt. Fest steht, dass er sich für die Mordnacht ein falsches Alibi verschafft
hat. Was wir nicht wissen, ist, ob er von Kind erpresst wurde. Das wiederum
wissen wir ganz klar über Raimund Degenhard. Sein Alibi ist von seiner Frau,
damit kann es so wertlos sein wie seine Gutachten. Not schweißt zusammen, und Arnold und Degenhard wurden von einer ziemlich glaubwürdigen
Quelle miteinander in Verbindung gebracht. Kommen wir zu Tina: Die Erpressung
fand sie höchstens unangenehm, bei Weitem nicht schlimm genug für einen Mord am
eigenen Vater. Dass sie zumindest damit nichts zu tun hat, ist also ebenfalls
glaubwürdig. Menning hatte – nach jetzigem Kenntnisstand – auch kein Motiv,
Weitere Kostenlose Bücher