Fischland Mord - Küsten-Krimi
sie nachdenklich an, bevor sein Lächeln
verschmitzt wurde. »Offenbar doch.«
7
Noch beim Frühstück hatte Kassandra an das berührende Erlebnis auf
dem Kirchturm denken müssen. Natürlich war sie nicht das erste Mal dort oben
gewesen, aber gestern hatte sich der Ausblick aufs
Fischland anders angefühlt und sie besänftigt. Oder war es nicht
allein der Ausblick gewesen, sondern auch Pauls Gegenwart? Wie lange hatten sie
da gestanden und in gegenseitigem Einvernehmen geschwiegen?
Hatte sie sich Pauls Wehmut nur eingebildet? Sie wusste
eigentlich gar nichts über ihn.
Jetzt saß sie auf der Terrasse, um sich dem Großeinkaufsplan für
Montag zu widmen. Die Bergers reisten morgen ab, es hatten sich aber bereits
neue Gäste für Dienstag angekündigt, diesmal eine Familie mit Kleinkind, für
das Kassandra ein Extrabett ins Zimmer stellen musste.
»Morgen, Kassandra.«
Sie schaute auf und sah Jonas am Gartenzaun stehen. »Morgen, Jonas,
Lust auf einen Kaffee?«
»Sonst gern, aber ich hab heute eine frühe Bootstour. Ich dachte, du solltest wissen, dass Violetta vor deiner Tür steht. Sie wirkt etwas
komisch.«
Kassandra stand auf. »Wieso macht sie sich denn nicht bemerkbar?«
»Frag mich was Leichteres. Ich sag ja, sie macht einen
komischen Eindruck.« Er hob die Hand und winkte ihr zu. »Wir
sehen uns.«
Als Kassandra die Tür öffnete, hatte Violetta wohl gerade klingeln
wollen, sie stand mit erhobener Hand vor ihr. Kassandra bemerkte außerdem
sofort, was Jonas auf die Entfernung nicht aufgefallen war: Violetta war
vollkommen verheult. Wortlos zog sie sie ins Haus und verfrachtete sie in die Küche,
wo sie Tee zubereitete und dann wortlos am Tisch ihre Hand hielt.
Violetta schniefte und nahm einen Schluck Tee. »Dieser Mistkerl.« Ihre Stimme klang rau, als hätte sie die ganze Nacht geweint.
Kassandra hatte etwas in der Art vermutet.
»Kannst du mir mal erklären, warum er jetzt Schluss macht?«, fragte
Violetta. »Wo keine Gefahr mehr besteht, wo der Typ nicht mehr hinter ihm her
ist, weiß der Himmel, warum, es ist mir egal, ich will, dass alles wieder ist,
wie’s war, ich versteh’s einfach nicht, sagt er doch gestern zu mir, es wäre
trotzdem zu riskant, dass seine blöde Tusse was rauskriegt, aber vorher war’s
das nicht, oder, vorher war ich gut genug.« Violetta setzte die Tasse mit einem
Ruck ab, dass es klirrte. Auf einmal schien sie eher wütend als traurig zu
sein.
Nach dieser Litanei war Kassandra nicht wesentlich klüger. Sie
wollte gerade nach Details fragen, doch in dem Moment klingelte das Telefon.
Ihr Instinkt sagte ihr, es klingeln zu lassen, wenn ihre Freundin sie brauchte.
Aber es konnte ja was Wichtiges sein.
»Entschuldige mich«, bat sie und nahm in der Diele das
Gespräch an.
»Guten Morgen, Frau … Voß.«
»Kommissar Dietrich«, sagte Kassandra resigniert.
»Normalerweise ist es ja mein Kollege, der Sie mit Informationen
versorgt, aber ich dachte, es interessiert Sie zu erfahren, dass Ihr Mann und
Josef Kind in der Tat eine … Geschäftsbeziehung hatten, und zwar zu der Zeit,
als Sie noch Kassandra Larsen hießen. Ich möchte Sie bitten, uns noch mal mit
Ihrem Besuch zu beehren, wir hätten da ein paar dringende Fragen zu klären.
Heute Nachmittag, fünfzehn Uhr. Danke.« Ohne ihre Erwiderung abzuwarten,
beendete er das Gespräch.
Kassandras Hände flogen, sie fürchtete, das Telefon fallen zu lassen, und stellte es auf die Station. Offenbar war der Polizei nicht verborgen
geblieben, dass Kinds Tätigkeit in Ahrenshoop eine falsche Fährte war.
»Kassandra?«, rief Violetta aus der Küche.
Violettas Kerl war Kassandra gerade absolut egal, andererseits
konnte Violetta nichts für diesen Idioten Dietrich. Der hatte sie zwar nicht offiziell vorgeladen, niemand konnte Kassandra also zwingen,
seiner Bitte Folge zu leisten. Aber sie hatte schon genug Ärger mit
ihm und wollte ihn nicht noch mehr gegen sich aufbringen.
Sie ging zurück in die Küche und ließ sich ergeben auf
den Stuhl sinken. Violetta würde sie wenigstens ablenken.
»Erzähl.«
Vor einiger Zeit war Violetta einem Mann begegnet, der
außerordentlichen Eindruck auf sie gemacht hatte. Der Schönheitsfehler ihrer
Beziehung lag darin, dass der Mann verheiratet war, es ihr aber erst gesagt
hatte, als es längst zu spät war und Violetta allem zustimmte, was er wollte,
inklusive des Versteckspiels. In einem immerhin war er ehrlich: Er würde sich
nie scheiden lassen, weil er sein luxuriöses Leben mit dem
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