Fischland Mord - Küsten-Krimi
mit dir!«
»Das fände ich etwas übertrieben. Hast du ›Eisschatten‹ gelesen? Das
Buch hat eine ganze Reihe Schwächen.«
»Ich hab jeden Roman von Hardenberg gelesen,
mindestens zweimal. Wo bitte siehst du Schwächen?«
Paul hob die Brauen. »Du magst seine Bücher?«
»Nein. Ich liebe sie. Also: Wo siehst du die Schwächen?«
Paul zögerte kurz, bevor er sich wieder an den Tisch
setzte. »Schön, reden wir über Hardenberg.«
Sie diskutierten fast zwei Stunden, in denen Kassandra jeden Satz verteidigte, den Paul auseinandernahm. Er kannte Hardenbergs
Bücher ebenso gut wie sie – und sagte Dinge darüber, die ihr vieles in ganz neuem Licht erscheinen ließ. Umgekehrt schien es ihm
genauso zu gehen.
»So interpretierst du das Ende von ›Eisschatten‹?« Paul ließ sich
fast erschöpft zurückfallen. »Vielleicht hast du recht.« Er schaute an
Kassandra vorbei.
»Das ist nur meine Deutung. Wahrscheinlich sieht er das ganz anders.
Hast du ihn mal interviewt?«
Paul rieb sich die Augen. »Nein«, sagte er und senkte die Hände.
»Bevor ich mich wieder an den Laptop setze, muss ich das erst mal alles
sortieren.« Er stand auf. »Danke.«
»Dir auch«, sagte Kassandra leise. Sie folgte Paul nach draußen.
»Was meinst du, wann wir Jonas morgen früh wecken können? Ich weiß ja nicht,
wie eilig es Menning haben wird.«
»Ich ruf ihn an und instruiere ihn. Dann sehen wir weiter.«
Als Paul gegangen war, stand Kassandra unbeweglich im dunklen Flur.
Das Haus wirkte leer, obwohl sie gehört hatte, dass die Familie mit der kleinen
Tochter zurückgekommen war. Sie wusste nicht, wie lange sie dagestanden hatte,
bevor sie ins Wohnzimmer ging, die Terrassentür öffnete und
nach draußen trat. Der Sturm hatte sich gelegt, es war trocken.
Sie atmete die frische Luft ein.
Paul.
Es war ein seltsames Gefühl, fast ein Schock. Wann hatte es
angefangen? Auf dem Kirchturm? Auf der Vernissage? Nachdem er an jenem
Abend den Kuss zwischen Arnold und ihr verhindert hatte? Heute
Nachmittag in seinem Haus? Oder schon viel eher, als sie ihn zum ersten Mal
hatte lachen sehen? Ziemlich früh jedenfalls, gestand sie sich ein. Sie
erinnerte sich gut an die vielen Gelegenheiten, bei denen ihr Paul im Kopf
herumgegeistert war. Ausgerechnet Paul. Der keinen Zweifel daran ließ, dass er
mit jüngeren Frauen nichts anzufangen gedachte. Der sie zu allem Überfluss noch
mit seinem Freund zusammenbringen wollte. Sie hatte keine Chance.
17
Es wurde später Vormittag, bis Menning und Dietrich kamen, was
Kassandra, Jonas und Paul genug Zeit gab, ihre Aussagen abzusprechen. Kassandra
führte die Beamten ins Wohnzimmer.
»Ist Ihre Küche nicht aufgeräumt? Das ist doch sonst Ihr bevorzugter
Befragungsraum«, sagte Dietrich zynisch. Anscheinend hatte er sich davon
erholt, dass Kassandra ihm letztes Mal die Zähne gezeigt hatte.
Sie reagierte nicht weiter darauf, sondern sah Menning
an. »Haben Sie schon mit Herrn Kesting gesprochen?«
»Wir möchten erst mal Ihre Version der Geschichte hören.«
»Warum bezweifeln Sie die, die er Ihren Kollegen erzählt hat?«,
erkundigte sie sich.
»Ich habe nicht behauptet, dass ich sie bezweifele, aber …«
»Aber wir haben was gegen Zufälle«, schaltete sich
Dietrich ein. »Zu viele Tote und Verschwundene an einem Fleck
machen stutzig. Selbst wenn einer wieder auftaucht. Und wo wir
schon von Zufällen sprechen, wüsste ich zu gern, warum Sie sich
gerade gestern für eine Besichtigungstour der alten Seefahrtschule entschieden
haben.«
Was Kassandra Menning und Dietrich erzählte, entsprach absolut der
Wahrheit.
Als sie an der Stelle angelangt war, wo sie Arnold in diesem
schrecklichen Zustand gefunden hatten, begannen ihre Hände zu zittern. Sie
stockte und räusperte sich. »Entschuldigung. Das war ein Schock, ihn so zu
sehen.«
»Ja, sicher, Sie waren ja gut mit Herrn Kesting bekannt«, stellte
Dietrich sarkastisch fest.
Empört, aber immer noch mit zitternden Händen sah Kassandra ihn an.
»Es ist vollkommen egal, wie gut ich mit Herrn Kesting bekannt bin! Mag ja
sein, dass es Sie kaltlässt, wenn Sie jemanden finden, der drei Tage lang mit
gebrochenem Fuß in einem dunklen Keller gehockt hat – mich nicht.«
»Verständlicherweise. Bitte beruhigen Sie sich, Frau Voß«, sagte
Menning. »Brauchen Sie eine Pause?«
Dankbar sah Kassandra ihn an. »Würden Sie mir ein Glas Wasser aus
der Küche holen?«
»Natürlich.« Menning verließ das Wohnzimmer.
»Mir kommen gleich die
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