Fischland Mord - Küsten-Krimi
der
Parkstraße, die der Seefahrtschule gegenüberstanden. Kassandra folgte seinem
Blick. Über die Grünflache kam Tina Bodenstedt auf sie zugelaufen. Sie trug
eine Plastiktüte, war völlig in Gedanken versunken und wirkte etwas
angegriffen. Sie schien zu spüren, dass sie beobachtet wurde, schaute auf und
stoppte mitten im Schritt, als sie Kassandra und Jonas bemerkte. Dann machte
sie abrupt auf dem Absatz kehrt und lief davon. Jonas sprintete hinter ihr her,
doch wie auf Knopfdruck setzte da mit einem Schlag der Regen wieder ein, so
heftig, dass er Kassandra fast die Sicht nahm. Es dauerte nur Sekunden, bis der
unebene Boden so rutschig war, dass Jonas ausglitt und hinfiel. Nur Momente
später verwandelte sich der heftige Schauer wieder in sanften Nieselregen. Tina
Bodenstedt war längst in das kleine Waldstück hinter der Parkstraße eingetaucht
und nicht mehr einzuholen.
Als Kassandra bei Jonas angelangt war, hörte sie ihn fluchen. »Ich
glaub’s nicht! Ich hab mir das Fußgelenk verstaucht.«
Das war alles andere als lustig, trotzdem frotzelte
Kassandra: »Vielleicht geben Sie dir ja im Krankenhaus das Bett
neben Arnold.«
»Sehr witzig. Au!« Gestützt auf Kassandra gelangte er zur Seefahrtschule zurück. »Wenn’s wenigstens nicht umsonst gewesen wäre.
Möchte wissen, was die hier verloren hatte.«
»Wer?«, erkundigte sich Paul, der eben aus dem Gebäude kam.
»Die Bodenstedt«, sagte Jonas mit zusammengebissenen Zähnen. »Ist mir entwischt. Mein Fußgelenk ist hin, und ich bin klitschnass.«
»Die war hier?«, fragte Paul etwas abwesend. Er hatte offenbar
gerade nicht sehr viel Mitleid für Jonas übrig.
»Ja. Jetzt nicht mehr. Du musst sie wohl noch mal
anrufen, wenn du sie treffen willst«, antwortete Jonas bissig.
»Könntest du mich vorher freundlicherweise nach Hause fahren? Ich hab
keine Lust, zu Fuß zu gehen.«
»Entschuldige«, bat Paul zerknirscht. »Es ist nur …
Na, egal, klären wir später. Und dich fahr ich lieber zum Arzt statt nach Haus.«
»Ich glaube nicht, dass der gute Doktor begeistert sein wird, wenn
ich seine Praxis volltropfe. Zuerst nach Hause.«
Sie einigten sich darauf, dass Paul Jonas zum Arzt fahren sollte, nachdem der sich abgetrocknet und umgezogen hatte. Später wollten
sie sich alle noch mal zusammensetzen. Kassandra war daher
erstaunt, als eine Dreiviertelstunde später Paul allein vor ihr stand.
»Der Doktor hat Jonas’ Fußgelenk mit einem Verband umwickelt und ihm
ein Schmerzmittel verpasst. Jonas ist davon schon fast im
Wagen eingeschlafen. Das wird heute nichts mehr.« Paul stutzte.
»Du steckst ja immer noch in den nassen Klamotten. Willst du dich erkälten? Du
hättest dich umziehen sollen.«
»Da hatten ein paar Leute was gegen. Arnold muss meinen Rat befolgt
und überall Bescheid gesagt haben, dass er wieder unter den Lebenden weilt.
Zuerst rief Gerlinde Meerbusch an und wollte alles ganz genau wissen. Kaum
hatte ich aufgelegt, war Dietrich dran. Er und Menning sind von ihren Kollegen
informiert worden. Dietrich klang nicht so, als würde er Arnolds
Geschichte schlucken, und hat eine Menge Fragen gestellt. Die
wollen auch noch mal persönlich mit ihm reden – und mit uns.«
»Kann man ihnen nicht verdenken.« Paul schob Kassandra weiter den
Flur hoch. »Wo ist dein Bad? Du stellst dich jetzt endlich unter die Dusche,
und ich mach dir einen Tee.«
Widerspruchslos folgte sie Pauls Anweisungen und ließ zehn Minuten lang heißes Wasser auf ihren Körper niederprasseln, bis sie
sich wieder einigermaßen aufgewärmt fühlte. Paul hatte sich
in Kassandras Küche gut zurechtgefunden, ihre Teekanne stand
schon auf einem Stövchen. Er schenkte ihr ein und stellte den
Becher mit Kandis vor sie.
»Danke, das kann ich gut brauchen.« Sie nahm einen Schluck und
umfasste die Tasse mit beiden Händen. Paul saß ihr gegenüber und sah ihr
schweigend zu. Als sie hochschaute, trafen sich ihre Blicke. Sie
hatte zuvor nie den dunklen Ring um seine graublaue Iris bemerkt.
»Ich hab vorhin den Kellerraum unter die Lupe genommen«, begann
Paul. »Was glaubst du, womit Jugendliche heutzutage Partys feiern?«
Kassandra schüttelte den Gedanken an Pauls Augen ab. »Keine Ahnung.
Ist lange her, dass ich so jung war. Auf jeden Fall Alkohol, vielleicht
irgendwelche Pillen.«
»Nicht bloß mit Wasser, Sandwichs und Schokoriegeln also«, stellte
Paul ironisch fest. »Das ist nämlich alles, was ich gefunden habe. Zwei
volle, eine halb leere und fünf ganz leere
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