Fischland Mord - Küsten-Krimi
sein. Andererseits war diese Gegend
ja schon immer mit Künstlern gepflastert – ich lerne nur jetzt erst, das
richtig zu würdigen«, sagte Jonas gut gelaunt. »Paul, fährst du
hin, um das zu überprüfen? Ich muss morgen endlich wieder aufs Boot, egal, was mein Fuß dazu sagt. Ich kann nicht noch
einen Tag ausfallen lassen.«
Paul nickte, doch Kassandra fuhr dazwischen. »Nein. Lasst mich das
machen.«
»Bist du verrückt?«, protestierten Jonas und Paul wie aus einem
Mund. »Kommt überhaupt nicht in Frage.«
»Die Frau ist gefährlich, denk an Arnold«, fügte Jonas hinzu.
»Ich bin nicht verrückt. Ich bin eine Frau. Möglicherweise komme ich
besser mit ihr klar als einer von euch. Wenn auch nur, weil sie
mich nicht ernst nimmt und mich nicht als Gefahr betrachtet. Oder
weil sie die Nase voll von Männern hat. Wie man an Arnold eindrucksvoll sieht.
Ich fahre.«
Jonas wollte erneut protestieren, doch Paul schien sich ihre
Argumente durch den Kopf gehen zu lassen. »Da ist was dran. Aber du fährst nicht allein, unter keinen Umständen. Sie muss mich nicht
zu sehen kriegen, trotzdem werde ich dich begleiten.«
20
Arnold wirkte besorgt um sie, als Kassandra ihm beim Frühstück
mitteilte, dass sie heute wegen einer Routineuntersuchung nach Ribnitz zum Arzt
musste. Er wünschte ihr Glück und brachte sie sogar noch zur Tür. Auf der Straße
wollte sie gerade ins Auto steigen, da kam Heinz Jung aus dem Haus. Spontan
drehte sie sich um und winkte ihm zu. »Viel Erfolg für die Begehung heute
Nachmittag.«
Er sah sie grimmig an. »Ihre guten Wünsche können Sie
sich sparen. Wir schaffen das auch ohne Ihren Exgatten.«
Kassandra, die schon halb im Wagen saß, stieg noch mal aus und sah
Jung in die Augen. »Es tut mir leid, was damals passiert ist. Ehrlich. Ich weiß
eigentlich nicht, wozu ich das sage, es ist Ihnen ja sowieso egal.«
Ohne seine Antwort abzuwarten, stieg sie endgültig ein. Sie fuhr bis
zur Parkstraße, wo sie vor dem ehemaligen Haus der Malerin Hedwig Woermann
hielt, das heute ebenso wie Herdes’ Domizil Feriengäste beherbergte. Dort
wartete Paul im einsetzenden Nieselregen.
»Morgen«, grüßte sie wortkarg. Jung lag ihr immer noch im Magen,
dabei hätte sie längst gelernt haben müssen, nicht auf den Mann zu achten. Paul
grüßte zurück, beschränkte sich aber ansonsten darauf, sie von der Seite
anzusehen. Sie spürte seinen Blick und musste an sein merkwürdiges Verhalten am
gestrigen Abend denken. Wenn ihm etwas zu Josef Kind eingefallen sein sollte,
warum hatte er es nicht gesagt? Verstohlen musterte sie ihn, was zu der etwas
grotesken Situation führte, dass beide sich gegenseitig beobachteten.
Schließlich lächelte Paul. »Wenn du fertig bist mit deinen
Betrachtungen, könntest du mir sagen, was in deinem Kopf vor sich geht.«
Kassandra spürte instinktiv, dass es besser war, zu gestern nichts
zu sagen. »Jung«, meinte sie stattdessen. »Ich schaff es einfach nicht, auf
Durchzug zu stellen, wenn er mit mir redet.«
Paul versuchte, die Beine auszustrecken, was bei
seiner Größe in Kassandras kleinem Renault
schwierig war. »Das lernst du schon noch.«
»Ich liebe deinen Optimismus. Wann ist die Begehung?
Schaffen wir es pünktlich zurück?«
»Um drei. Ich denke schon, dass wir das schaffen.
Kommt natürlich drauf an, was Tina Bodenstedt zu erzählen hat,
falls sie überhaupt da ist und mit uns redet.«
»Mit mir«, korrigierte Kassandra.
»Mir dir, natürlich«, bestätigte Paul. »Ich war
übrigens überrascht, dass du nichts gegen meine
Begleitung einzuwenden hattest. Ich dachte, du würdest energisch
darauf bestehen, keinen Aufpasser zu brauchen.«
»Du hättest dir das doch sowieso nicht ausreden
lassen. Wozu also Streit anfangen?«
Paul lachte auf. »Kennst du mich schon so gut?«
Kassandra verschwieg den wahren Grund für ihren
mangelnden Protestenthusiasmus: Sie würde jede Gelegenheit
nutzen, mit Paul zusammen zu sein.
Das Künstlerhaus von Emil Herdes stand idyllisch, fünfzig Meter vom
Bodden entfernt. Um Tina Bodenstedt nicht zu früh auf sich aufmerksam zu
machen, hielten Kassandra und Paul ein Stück weit entfernt an der Hauptstraße
und durchquerten zu Fuß ein kleines Wäldchen, bis die Lichtung
vor ihnen lag. Ruhig und friedlich war es hier, das Haus rot
verputzt mit einem Rohrdach, weißer Tür und weißen Fensterläden. Im Hintergrund
glitzerte kurz die Oberfläche des Boddens durch einen hervorbrechenden Sonnenstrahl auf. Hätte nicht ein
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