Fischland Mord - Küsten-Krimi
ich mal geliebt hatte und der meinen Vater
umgebracht hatte, und ich fühlte gar nichts. Ich dachte bloß: Geschieht dir
recht! Ich fragte ihn wieder nach dem, was er getan hatte, und nach dem Mann am
Telefon, aber er blieb bei seiner Geschichte und erklärte, das Telefonat müsse
ich falsch verstanden haben. Er habe nur einem Freund von seiner Bekanntschaft
mit der Frau erzählt, bei der mein Vater tot aufgefunden worden war. Er nannte
mir sogar den Namen und die Nummer, aber darunter war nie jemand zu erreichen.«
»Haben Sie denn trotzdem nicht einmal in Erwägung gezogen, dass er
die Wahrheit sagt? Er war schwer verletzt, litt Höllenqualen, meinen Sie nicht,
dass er nur noch da rauswollte?«
Tinas Blick wurde hart. »Ich glaube, er hatte weitaus größere Angst
davor, dass ich ihn töte, sobald er gesteht.«
»Hätten Sie das getan?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht. Ich bin glücklicherweise nicht mehr dazu gekommen, das rauszufinden, Sie haben ja dazwischengefunkt.«
Tina wandte den Blick ab. »Was werden Sie tun? Die Polizei rufen?«
Kassandra schwankte zwischen Mitleid, Verständnis und vor allem
Fassungslosigkeit. Aber dann sah sie die Frau vor sich, die wie sie selbst auf
der Suche nach der Wahrheit war.
»Ich werde alles abstreiten, was ich Ihnen erzählt habe«, sagte
Tina. »Sie können nichts beweisen. Da Arnold sicher keinen Wert darauf legt, wegen Mordes im Gefängnis zu landen, wird er verschweigen,
was in dem Keller tatsächlich passiert ist.«
»Es dürfte nicht schwer sein nachzuweisen, dass Sie dort waren. Was
den Rest betrifft, haben Sie wahrscheinlich recht, aber es gibt so was wie
Indizienbeweise.«
»Was gewinnen Sie dadurch, dass Sie mich ausliefern? Arnold ist ein
Mörder. Er gehört vor Gericht, nicht ich.«
»Selbst wenn. Selbstjustiz ist strafbar.«
Darauf hatte Tina keine Antwort, sie sackte in sich zusammen.
Kassandra horchte etwas ratlos in sich hinein. Es fiel ihr schwer,
in Arnold mit einem Mal einen kaltblütigen Mörder zu sehen. Dennoch klang Tinas
Geschichte glaubhaft, während es bei Arnolds Aussagen immer öfter
Widersprüche gegeben hatte und Kassandra jetzt sogar davon
ausgehen musste, dass er ihr von Anfang an genauso hinterherspioniert hatte wie
sie ihm. Sie fasste einen Entschluss. Der würde Tina vermutlich weniger
gefallen, also sagte sie, was sie hören wollte – und auf gewisse Weise war es
die Wahrheit.
»Einverstanden. Ich werde Sie nicht verraten. Mag sein, dass ich das
irgendwann bereue, aber für den Moment scheint es mir das Richtige zu sein.«
Aus ihrer Handtasche fischte sie ein Visitenkärtchen. »Wenn was ist, rufen Sie
mich auf dem Handy an, nicht auf dem Festnetzanschluss. Vielleicht geht Arnold
mal ans Telefon. Er denkt, ich denke, er ist verliebt in mich, und bewegt
sich frei im Haus.«
Tina nickte erleichtert und reichte ihr ihrerseits eine ihrer perlmuttfarben glänzenden Visitenkarten. »Danke. Was werden Sie jetzt
tun?«
Obwohl Kassandra eine gewisse Vorstellung davon hatte, sagte sie nichts dergleichen. »Mir was einfallen lassen. Wiedersehen, Tina.
Unter den gegebenen Umständen können wir uns wohl duzen, oder?«
Sie lächelte.
Tina lächelte zurück. »Wiedersehen, Kassandra.«
Kurz nachdem Kassandra ins Auto gestiegen war, öffnete Paul die
Beifahrertür und ließ sich auf den Sitz neben ihr fallen. »Frau Bodenstedt war
so freundlich, ein Fenster aufzulassen, ich konnte hören, was ihr geredet
habt«, sagte er rau. »Du wirst einen Grund finden müssen, Arnold loszuwerden.
Heute noch.«
»Du glaubst ihr also?«
Paul zögerte. »Sie klang zumindest sehr glaubwürdig. Das Risiko ist
zu hoch.«
»Vielleicht wäre es das wert. Arnolds Handy …«
»Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?«, unterbrach Paul sie.
»Es war immer klar, dass Arnold was zu verbergen hat, und ich war nie
begeistert von seiner Anwesenheit in deinem Haus. Aber falls Tinas Geschichte
stimmt, lebst du mit einem Mann unter einem Dach,
der jemanden umgebracht hat oder zumindest an einem Mord
beteiligt war.«
»Aber wenn Arnold die Anrufliste auf seinem Handy nicht gelöscht hat
und es mir gelingt, da ranzukommen, wüssten wir, mit wem er am
Abend der Ausstellung telefoniert hat. Wir wüssten, wer dieser
zweite Mann …«
»Verdammt, Kassandra!« Paul wurde so laut, dass sie
erschrak. »Du hast gesagt, Arnold hätte eine Scheißangst vor mir
gehabt und bestimmt nicht gelogen. Aber im Moment hat es den
Anschein, dass ich weniger überzeugend war, als
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