Fischland Mord - Küsten-Krimi
fragte sie sich,
weshalb sie die Situation amüsant fand, wo sie doch Angst vor Arnold haben sollte.
Tatsache war, dass sie keine empfand, sie fühlte sich höchstens ein bisschen
unwohl. Das wiederum lag daran, dass sie sich auf dem Weg hierher vergebens den
Kopf darüber zerbrochen hatte, wie sie am unauffälligsten an Arnolds Handy
kommen konnte. Am besten, wenn sie am nächsten Morgen sein Zimmer machte, was
sie für ihn ebenso erledigte wie für ihre anderen Gäste. Hoffentlich ließ er
sie dabei allein – und sein Handy liegen.
Auf ihr eigenes gab sie besonders acht für den Fall, dass entweder
Tina oder Dietrich sich meldeten. Bei Letzterem versuchte sie es selbst
wiederholt, aber inzwischen sprang nicht mal mehr die Mailbox an, es meldete
sich nur noch eine unpersönliche Stimme, die erklärte, der Teilnehmer sei nicht
zu erreichen. Stattdessen rief Jonas an, der von Paul auf den neuesten Stand
gebracht worden war und der sie ebenfalls um größte Vorsicht bat. Abends
verfrachtete sie Arnold ins Auto und fuhr mit ihm den kurzen Weg zur
»Schifferwiege« zum Essen. Sie hätte selbst gekocht, aber Arnold fiel nach eigenem Bekunden langsam die Decke auf den Kopf, und
mittlerweile war Kassandra doch nervöser, als sie gedacht hatte, und froh,
unter Leute zu kommen.
Es war fast zehn, als sie wieder zu Hause waren. Kassandra hatte gerade überlegt, Kopfschmerzen vorzuschützen und ins Bett zu gehen,
als es an der Tür klingelte.
»Kriegst du jeden Abend um diese Zeit Besuch? Wer ist es diesmal?
Wieder Violetta? Oder dein Oberst? Für den Fall sollte ich mich lieber
absetzen.« Arnold mochte von Pauls Drohungen nicht in dem Maße eingeschüchtert
worden sein, wie sie angenommen hatten. Dennoch legte er offenbar keinen Wert
darauf, ihm erneut zu begegnen. Vorsichtshalber zog er sich in sein Zimmer
zurück.
Zu Kassandras außerordentlicher Überraschung sah sie sich mit jemand
ganz anderem konfrontiert.
»Guten Abend, Frau Voß«, sagte Heinz Jung.
»Herr Jung! Was kann ich für Sie tun?«
»Da Sie mir heute Morgen ausdrücklich viel Erfolg für die Begehung
der Seefahrtschule gewünscht haben, dachte ich, es würde Sie vielleicht
interessieren, wie sie ausging. Ist das so?«
Sein Tonfall war schwer zu deuten. Kassandra hatte
daran gedacht, Paul anzurufen und zu fragen, es aber lieber
gelassen, weil das ein sensibles Thema für ihn war. Zögernd nickte sie.
»Darf ich reinkommen?«, insistierte Jung.
»Oh. Ja, sicher.« Immer noch völlig verdutzt, ließ Kassandra ihn eintreten. Jung schaute sich neugierig um, während sie ihn ins Wohnzimmer
führte und ihm einen Platz anbot.
»Nein, danke.« Jung sah sie ausdruckslos an.
Die Situation war lächerlich. Kassandra räusperte sich, doch da
entschloss sich Jung, das Schweigen zu brechen.
»Der Architekt ist begeistert, der Investor auch,
allerdings verlangt er, dass die Gemeinde noch mindestens einen
weiteren Geldgeber findet, und der Bauunternehmer will einen
Kostenvoranschlag erstellen.« Nach diesem
abrupten Ausbruch herrschte erneut Stille.
»Um mir das zu sagen, sind Sie hergekommen?«, fragte Kassandra
ungläubig.
»Wissen Sie«, erwiderte Jung und ließ seinen Blick durch das Zimmer
schweifen, als könne er sie bei seinen Worten nicht ansehen, »ich hätte nie
gedacht, dass ich den Tag erlebe, an dem Paul Freese mich
um was bittet. Heute hat er es getan, und das muss heißen, dass
es ihm sehr wichtig ist. Wirklich sehr wichtig. Er hat mir nicht gesagt, worum
es geht, aber er wollte, dass ich bei Ihnen nach dem Rechten sehe und …« Mitten
im Satz stockte er, seine linke Braue zuckte nach oben, er machte einen Schritt
auf die Anrichte zu.
Kassandra, der langsam klar geworden war, dass Paul ihre ironische
Äußerung ernst genommen hatte, folgte Jungs Blick.
»Wer ist das?« Er deutete auf den Bilderrahmen.
»Meine Mutter«, antwortete sie, nun noch irritierter als zuvor.
»Wieso fragen Sie?«
Jung sagte drei Sekunden lang nichts, dann schüttelte
er den Kopf. »Entschuldigen Sie. Eine Verwechslung.« Er
wandte sich wieder Kassandra zu. »Jedenfalls hat Paul mich
gebeten nachzusehen, ob bei Ihnen alles in Ordnung ist.«
Kassandra sah zwischen Jung und dem Foto hin und her.
»Mit wem haben Sie meine Mutter verwechselt?«
»Mit … meiner Schwägerin. Das ist zu dumm, ich sah nur im ersten
Moment eine Ähnlichkeit. Woher sollten Sie auch meine Schwägerin kennen?« Jung
machte eine kurze Pause. »Um auf den Grund meines Besuchs
zurückzukommen:
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